DeWitt, Carl A.: Das Erbe des Greifen (Buch)

Carl A. DeWitt
Das Erbe des Greifen
Titelbild: Stanley Morrison
Blanvalet, 2009, , 636 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-442-26588-6

Von Carsten Kuhr

Lytara, die einst so strahlende Metropole und das Reich des Greifen, Begriffe die die Menschen der Länder rund um die verwunschene Stadt nur mehr aus Sagen und Überlieferungen kennen. Vor Jahrhunderten hat Lytar die ganze Welt beherrscht. Ihre Magie und ihre technischen Errungenschaften aber haben die Bewohner ihr Menschsein vergessen lassen. Gottgleich wollten sie sein, eingebildet und arrogant waren die Herrschenden.
Als es dann zum Zwist der Zwillinge über die Herrschaftswürde kam und sich Prinz Belior selbst zum Herrscher ausrief, versank das Reich in Chaos. Die Tempel der Göttin Mistral wurden geschändet, ihre Priesterinnen grausam gemeuchelt, selbst seiner leiblichen Schwester trachtete der Prinz nach dem Leben. Ein Strafgericht ohnegleichen ging hernach über der Küstenstadt Lytar nieder.
Seitdem sind viele Generationen vergangen, Jahrhunderte, in denen die wenigen Flüchtlinge, abschieden in einem Hochtal lebend, als friedvolle Bauern ihr Dasein fristeten.

Doch jetzt erhebt das Böse sein Haupt erneut. Kanzler Belior von Thyrmator entsendet Heerscharen in das ehemaligen Reich des Greifen, um dort nach der verschollenen Krone von Lytar zu suchen. Nur mit diesem magischen Kleinod vermag der Despot, die Götter selbst im Auftrag seines dunklen Gottes Darkoth in die Knie zu zwingen.
Doch die unschlagbare Armee des Kanzlers trifft auf Widerstand. Eine Gruppe junger Dorfbewohner stellt sich ihrem Erbe – und bringt den Truppen des Kanzlers eine erste, vernichtende Niederlage bei.
Der zweite Angriff der Truppen und der dunklen Priester Darkoths gilt, das wissen alle, der Küstenstadt Berendall. Mit deren Eroberung wäre der Landweg gen Lytar frei, und potentielle Verbündete des Greifen ausgeschaltet.

Nach und nach treffen alle Parteien in und um die stark befestigte Stadt ein. Während der Paladin des Kanzlers sich auf ein zahlenmächtig weit überlegenes und gut ausgebildetes Heer sowie seinen Drachen stützen kann, wuchern unsere Helden mit dem ungebrochenen Nimbus des alten Reiches. Leibeigene und Bauern, Fischer und Handwerker, sie alle fühlen sich als Nachkommen des Greifen, und so genügt ein Funke, um Patriotismus und Widerstand gegen die Invasoren zu entfachen.
Doch wird dies gegen den übermächtigen Gegner, der zudem auf die echsenartigen Kronoks baut, reichen?
Als der Hohepriester Darkoths mit schwarzer Magie zum Sturm auf die Feste bläst, zeigt sich, dass auch unsere Helden nicht ohne göttlichen Beistand sind, und dass sie unerwartete Verbündete in den Reihen ihrer Gegner haben …

Carl A. DeWitt, der unter mehreren Pseudonymen Bücher veröffentlicht, hat gegenüber dem ersten Band ein deutlich höheres Tempo angeschlagen.
Nachdem die Grundsituation eingeführt ist, erste geschichtliche Geheimnisse gelüftet wurden und die Handelnden vorgestellt sind, geht es nun mit Volldampf auf ins Abenteuer.
Dabei lässt der Autor auch diesmal alles einfließen, was der Freund spannender Fantasy-Abenteuer von seinem Buch erwartet.
Es gibt Prophezeiungen, sich einmischende Götter und Magier, dazu mutige Helden und finstere Bösewichter zuhauf.
Auffallend, dass es dem Autor mit leichter Hand gelingt, vielschichtige und sich verändernde Charaktere zu schaffen, nie ist man sicher, ob sich eine Figur im Verlauf des Romans nicht noch dreht, selbst der Paladin des Kanzlers, eigentlich der Bösewicht schlechthin, wird differenziert als ehrbarer Soldat dargestellt.

Ähnlich, wie bei seiner anderen großen Fantasy-Reihe auch neigt der Autor dazu, seine Handlung ausufern zu lassen.
Was als Einzelroman mit einer potentiellen Fortsetzung begann, das zieht immer weitere Kreise. Ob es bei der Begrenzung auf eine Trilogie verbleibt, wage ich einmal vorsichtig zu bezweifeln.
Und, in diesem Falle ist das gut so.
Statt dass es angesichts ständig neuer Schauplätze und frischer Figuren zu Ermüdungserscheinungen beim Leser kommt, zeigt sich die Welt und ihre Geschichte in immer faszinierenderen Einzelheiten. Hier wächst vor den Augen des Lesers eine ebenso dezidierte, wie durchdachte Weltenschöpfung heran, in der sich die Details zu immer neuen, spannenden Bildern fügen, in denen jede Andeutung ihren Platz findet, zu weiteren Ereignissen führt und in der Rückschau oftmals überraschende Bedeutung findet.
Als besonderen Kniff wirkt dabei die Weise, wie der Autor uns die Geschehnisse durch die Schilderung eines Barden aus der Zukunft der erzählten Handlung nahe bringt. In pointierten, unterhaltsamen Anmerkungen und Reflektionen rückt er hier so manches grade, erläutert und bewertet er en passent und amüsant zu lesen die Geschehnisse.

Insgesamt gesehen hat nicht nur das Tempo zugenommen, auch die verschachtelte Handlung verlangt dem Leser deutlich mehr ab. Es gilt mitzudenken, mit zu raten, man kann nicht außenstehender, unbeteiligter Beobachter bleiben, sondern muss Stellung beziehen.

Bot der Auftaktroman noch zwar spannend und flüssig lesbares Abenteuergarn, doch für meinen Geschmack zu wenig eigenständige Ideen, legt DeWitt hier deutlich nach. Vor den Augen des Rezipienten entfaltet sich eine eigene Schöpfung, die sich in die Weltengebilde eines Raymond Feist oder David Eddings nahtlos einreiht.