Black, Holly: Elfenherz – Elfensage 2 (Buch)

Holly Black
Elfenherz
Elfensage 2
(Valiant – A Modern Tale of Faeries, 2005)
Aus dem Amerikanischen von Anne Brauner
Titelgestaltung von init.büro für gestaltung, Bielefeld unter Verwendung eines Bildes von Sammy Yuen Jr.
cbt, 2009, Taschenbuch, 304 Seiten, 7,95 EUR, ISBN 978-3-570-30625-3

Von Irene Salzmann

Nach »Elfentochter« und »Elfenkönigin« ist nun der dritte Band der »Elfensage« von Holly Black erschienen – im Original eigentlich der zweite Band, in dem Charaktere im Mittelpunkt stehen, die mit denen des ersten Buchs im dritten Teil vereint werden.
Die Autorin wurde vor allem durch die »Spiderwick-Chroniken« bekannt. Auch in dem Comic »Feenland – Der gebrochene Schwur«, gezeichnet von Ted Naifeh, befasst sie sich mit ihren offensichtlichen phantastischen Lieblingswesen.

Zufällig entdeckt Val, dass ihr Freund und ihre Mutter eine Affäre haben. Enttäuscht und wütend über diesen Vertrauensbruch reißt sie aus und schließt sich einigen Jugendlichen an, die in einer verlassenen U-Bahn-Station hausen. Lolly, Dave und sein Bruder Luis erzählen ihr die verrücktesten Dinge, die Val auf schmerzliche Weise als Wahrheit akzeptieren muss, als der Troll Ravus sie beim Stehlen ertappt.
Wie die beiden Jungen muss sie von nun an kleine Botengänge für ihn erledigen. Ravus ist ein Heiler, der den anderen Elfenwesen, die in der Menschenwelt im Exil leben, Tränke braut, die ihnen gegen das gefährliche Eisen helfen sollen. Allerdings sterben immer mehr von seinen Kunden an Gift, und es geht das Gerücht um, Ravus sei ihr Mörder.
Als Val dem wahren Täter auf die Schliche kommt, ist es bereits zu spät: Ravus wurde das Herz herausgeschnitten – und das kann selbst ein Troll nicht überleben. Stirbt er, ist auch Dave verloren, der sich zu sehr in die Intrigen der Elfen verstrickt hat und ihrer berauschenden Droge verfallen ist. Um ihren Freunden zu helfen, riskiert Val alles …

Holly Blacks Elfen sind keine hübschen, niedlichen und hilfsbereiten Geister sondern bizarre, gefährliche Geschöpfe. Und auch ihre menschlichen Protagonisten entsprechen nicht dem gängigen Bild vom mehr oder minder unverstandenen und adretten Teenager, der zufällig in eine abenteuerliche Geschichte mit einem Happy End hineingezogen wird. Stattdessen handelt es sich um Außenseiter, die sich optisch (›coole‹ Klamotten, Piercings) und durch ihre Taten (Diebstähle, Drogenkonsum) von der konservativen Masse abheben. Das mag jugendlichen Lesern im ersten Moment interessant erscheinen, aber wirklich identifizieren kann man sich – bei allem Verständnis für ihre Situation und einige der Motive – nicht mit den Charakteren.
Dennoch ist man bereit, sich in eine düstere, geheimnisvolle Welt entführen zu lassen, tiefer und tiefer. Geschickt baut die Autorin den Roman zunächst als Jugenddrama auf und schildert die Hintergründe von Vals Flucht aus ihrem Heim und ihr Hineinschliddern in die Obdachlosigkeit und Kriminalität. So ›cool‹ es aus der Sicht der Jungen und Mädchen, die wenigstens 15 Jahre (eher 17 und älter) alt sind, auch erscheinen mag, wenn sie im Drogenrausch Magie wirken, ahnungslose Bürger bestehlen, in ihre Häuser eindringen und einem erschreckenden Vandalismus freien Lauf lassen – es bleiben Straftaten, die zu sehr bagatellisiert werden. Erst nachdem ein tragisches Unglück passierte und Val ihre Abhängigkeit von ›Nimmermehr‹ zu erkennen beginnt, wird ihr klar, dass es nicht weitergehen kann wie bisher.
Allerdings hat sie zu diesem Punkt schon alles verloren: Familie, Freunde, den Mann, den sie liebt; und noch mehr steht auf dem Spiel. Hier kommt es zur Wende, denn »Elfenherz« ist ein Jugendbuch, das nach drastischen Szenen doch ein versöhnliches Ende anstrebt. Val hat gewisse Fähigkeiten und Kenntnisse erworben, die es ihr ermöglichen, ihren neuen Freunden zu helfen, allerdings darf sie sich nicht auf die trügerische Magie verlassen sondern nur auf ihre eigene Stärke, und das ist schwer, seit sie das ›Nimmermehr‹ nimmt. Nur wenn sie ihre eigene Schwäche überwindet, kann sie ihre Fehler wiedergutmachen.
Die Elfen bleiben geheimnisvolle Randfiguren, die die Handlung mit Fantasy, Schönheit und Groteske schmücken. Sie intrigieren genauso wie die Menschen und sind oft noch viel grausamer – zueinander, zu denen, die nichts von ihnen ahnen, und mehr noch zu jenen, die etwas wissen. Dabei folgen sie ihren eigenen Regeln und Gesetzen, die nicht näher erklärt werden und die Rahmenbedingungen für Vals Handeln liefern.
Holly Black erzählt die Geschichte spannend und ohne zu werten. Glaubwürdig beschreibt sie die Betroffenheit, als die Protagonisten begreifen, worauf sie sich eingelassen haben, was sie getan haben und welche Folgen ihr Übermut und Egoismus für andere hat. Man ist fasziniert, selbst wenn man Distanz zu den Street-Kids wahrt und ihre Aktionen verurteilt.

Alles in allem ist »Elfenherz« ein faszinierender Roman, der für ein Jugendbuch sehr düster und grausam ist und die gesellschaftlichen Werte über lange Passagen hinweg als ausgehöhlt und verlogen infrage stellt.
Die Leseempfehlung des Verlags ab 14 Jahre erscheint doch recht niedrig angesetzt, da ein so junges Publikum in der Regel noch auf der Suche nach der eigenen Identität ist, ›cool‹ sein möchte und dabei leicht über das Ziel hinausschießen kann bei falschen Vorbildern. Von daher möchte man die Lektüre einem reiferen Publikum ab 16 Jahre ans Herz legen, das zwischen Realität und Fiktion, zwischen echter ›Coolness‹ beziehungsweise Richtig und Falsch trennen kann.