Neonomicon (Comic)

Alan Moore
Neonomicon
(Alan Moore’s The Courtyard 1-2,USA 2003; Neonomicon 1-4, 2010)
Aus dem Amerikanischen von Gerlinde Althoff
Titelbild & Zeichnungen von Jacen Burrows
Panini, 2011, Paperback, 160 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 978-3-86201-191-9

Von Christel Scheja

Der britische Autor Alan Moore dürfte den meisten Leser durch seine außergewöhnlichen Graphic Novels wie „Die Liga der außergewöhnlichen Gentleman“, „Watchman“ oder „V wie Vendetta“ bekannt sein, alles Werke, die gleichermaßen von Kritikern und Publikum geschätzt wurden, weil er immer wieder Genrekonventionen durchbrach – auch in seinen Arbeiten für große amerikanische Comicverlage. Die Graphic Novel „Neonomicon“ vereint gleich zwei grafische Erzählungen in einem Band, die eines gemeinsam haben sie begründen sich auf Howard P. Lovecrafts Cthulhu-Mythos.

In dem 2003 entstandenen Zweiteiler „The Courtyard“ steht der FBI-Agent Aldo Sax im Mittelpunkt. Er ermittelt undercover, um die Zusammenhänge zwischen drei Morden zu ergründen. Denn auch wenn die Täter aus verschiedenen sozialen Schichten stammen und nichts miteinander zu tun haben, so ist doch eines gemeinsam – die bestialische Art und Weise, mit dem sie ihre Opfer getötet haben – sei es nun der fünfzehnjährige Junge, der alte Penner oder ein Geisteskranker aus Orten, die über die USA verteilt sind. Die einzige Spur die er hat, sind die Auftritte einer recht abgedrehten Punk-Band. Aus diesem Grund erträgt er es in einer heruntergekommenen Hinterhofabsteige und taucht immer tiefer in die Szene ein. Bis zu dem Tag, an dem einen geheimnisvollen Asiaten kennenlernt, der ihm ermöglicht, hinter die Kulissen zu schauen.

Jahre später suchen zwei Kollegen den ehemaligen Agenten in einer speziellen und geheimen Einrichtung des FBI auf, in die er eingeliefert wurde, nachdem er nur noch unverständliches Zeug in einer fremden Sprache brabbelte. Merryl Brears und Gordon Lamper versuchen herauszufinden, was passiert ist, und verfolgen seine Ermittlungen weiter, nachdem sie ihn ebenfalls nicht verstehen können. Dabei tauchen auch sie in Verkleidung in die düstere Subkultur der Gegend ein, erleben mit dem Asiaten ihr blaues Wunder, da er sich ihnen zu entziehen weiß, und finden schließlich durch einen Laden, der sich den düsteren Werken Lovecrafts gewidmet hat, Zugang zu einem geheimen Sexclub, der urtümlichen Riten frönt. Allerdings wissen die Männer und Frauen schon lange, wen sie vor sich haben und locken beide in eine Falle, die einen von ihnen für immer verändern wird.

„Neonomicon“ ist auf den ersten Blick vielleicht nicht sehr viel brutaler als andere Horror Graphic Novels, aber das Zusammenspiel mit Sexszenen und entsprechend blasphemischen Sprüchen rechtfertigt die Altersempfehlung. Alan Moore und Jacen Burrows setzen tatsächlich in Szene, was Lovecraft nur angedeutet und der Phantasie seiner Leser überlassen hat – und widmen sich vor allem in den letzten vier Episoden einer Orgie aus Sex und Gewalt, die allerdings mehr ist als nur simpler Splatter. Denn neben vielen Anspielungen auf die Werke Lovecrafts nehmen sie sich auch die Zeit, die Geschichte zu entwickeln und ihr noch ein wenig Tiefgang zu geben, denn viel steckt auch noch zwischen den Zeilen, die Figuren lassen sich nach und nach selbst von den Abgründen ihrer eigenen Seele einfangen. So dienen auch die Sexszenen mit einem Monster nicht als Selbstzweck. Sie dienen einer Figur als Übergang in eine andere Welt, öffnen ihr die Augen, genau das zu sehen, was auch Aldo Sax wahrgenommen und verändert hat. Selbst die Kreatur ist nicht nur blut- und sexgeil, sondern zeigt so etwas wie Gefühle, die man von ihm nicht erwartet hätte – Schüchternheit und Mitgefühl.

Alles in allem erweist sich „Neonomicon“ als intelligent gemachte Interpretation von Lovecrafts Mythen, die angenehmen Grusel auslöst, aber nicht unbedingt für zarte Gemüter gedacht ist. Man muss sich schon auf die Gewalt und den Sex einlassen, um das zu erkennen, was wirklich dahinter steckt.

Auch die Zeichnungen sind vom Feinsten, sie setzen das Grauen geschmackvoll und angemessen in Farbe.

Der Horror-Fan wird „Neonomicon“ als das genießen können, was es ist – eine intelligent gemachte Splatter-Novel; allerdings ist der Band für empfindsame Seelen unter den Lesern vielleicht ein wenig zu brutal und zynisch.