Jack McDevitt: Übersetzungen aus dem Kolosianischen (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 29. Mai 2011 09:52

Jack McDevitt
Übersetzungen aus dem Kolosianischen
(Standard Candles, 1996)
Aus dem Amerikanischen von Andreas Irle
Mit einem Vorwort vom Autor, von Charles Sheffield und einem Nachwort von Andreas Irle
Edition Andreas Irle, 2009, Hardcover, mit kaschiertem Papierbezug, in doppelt gelumbackter Klebebindung, Auflage 150 Exemplare, nummeriert, 344 Seiten, 29,00 EUR, ISBN 978-3-936922-11-0
Von Armin Möhle
Mit „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“ legt die Edition Andreas Irle in ihrem Programm den ersten Roman vor, der nicht von Jack Vance stammt. Genau wie bei dem größten Teil der Romane von Jack Vance hat auch bei den „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“ Andreas Irle die Übersetzung selbst besorgt.
Die Edition Andreas Irle ist seit 1995 aktiv und hat inzwischen über 20 Romane des US-amerikanischen Autors Jack Vance herausgegeben, als Neuübersetzungen bereits veröffentlichter Bücher (wie „Die sterbende Erde“, „Der Sternenkönig“, „Maske: Thaery“, „Trullion: Alastor 2262“), von einer deutschen Erstveröffentlichung („Rhialto, der Wunderbare“, 1996) abgesehen. Das Markenzeichen der Edition Andreas Irle ist die hochwertige Ausstattung der Bände (Hardcover, Leinenprägung und mehr), die limitierten Auflagen (zwischen 100 und 250 Exemplaren) und der hohe Preis der Bücher.
Jack McDevitt ist in Deutschland kein Unbekannter, seine Romane sind als Taschenbücher im Bastei-Lübbe-Verlag erschienen. Von dem einen oder dem anderen Einzelroman abgesehen hat McDevitt zwei Future Histories verfasst. Die erste spielt in der nahen Zukunft: In „Gottes Maschinen“ (Bastei-Lübbe SFTB 24208, 1996), „Die Sanduhr Gottes“ (Bastei/Lübbe SFTB 24231, 2001), „Chindi“ (Bastei-Lübbe SFTB 24328, 2002), „Omega“ (Bastei-Lübbe TB 24341, 2005), „Odyssee“ (Bastei-Lübbe TB 24369, 2008) und „Hexenkessel“ (Bastei-Lübbe TB 24377, 2008) ist Priscilla Hutchins unter anderem Pilotin von Raumschiffen, die diverse außerirdische Artefakte und Phänomene erforschen.
Die zweite Future History McDevitts spielt mehrere hundert Jahre in der Zukunft und mitten in der Galaxis, auch wenn die Erde nicht in Vergessenheit geraten ist. Ihre Protagonisten sind der Händler Alex Benedict und (überwiegend) seine Pilotin Chase Kolpath; sie betreiben ihr Geschäft mit der Beschaffung und dem Verkauf von archäologischen Artefakten. Dieser Zyklus umfasst die Romane „Die Legende von Christopher Sims“ (zusammen mit „Erstkontakt“ in Bastei-Lübbe SFTB 24274, 2000), „Die Suche“ (Bastei-Lübbe TB 24362, 2007), „Polaris“ (Bastei-Lübbe TB, 2006) und „Das Auge des Teufels“ (Bastei-Lübbe TB 24386, 2009).
Jack McDevitt ist ein unprätentiöser, solider Autor. Er bedient Standartthemen des Genres im Allgemeinem und der Space Opera im Speziellen. Seine Routine, sein Variations- und Ideenreichtum, die Konzentration auf Plots, die er wunderbar darzustellen vermag, münden einerseits in selbstständige Werke. Thematische Wiederholungen und das Eingehen auf vermeintliche Lesererwartungen und/oder Genre-Konventionen andererseits machen manche seiner Romane weniger interessant. So sind die ersten Romane beider Future Histories durchweg die besten.
Die „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“ ist die erste Kurzgeschichtensammlung des Autos, die in Deutschland erschienen ist. Von vier Stories abgesehen, die überwiegend in den deutschen Ausgaben des „Isaac Asimov's Science Fiction Magazin“ erschienen sind, handelt es sich um Erstdrucke. Auch diese Stories hat Andreas Irle offenbar selbst (nochmals) übersetzt.
Die Titelstory wartet mit einer reizvollen Idee auf, nämlich der der gegenseitigen Inspiration von Autoren auf verschiedenen Planeten. Oder wie sollte es sonst zu erklären sein, dass sich manche Theaterstücke auf Melchior und auf der Erde frappierend ähneln...?! Und natürlich auch auf anderen Welten. Die Erklärung ist zugleich der Schwachpunkt der Story: Einige Individuen haben gelernt, zwischen den Welten zu reisen, ohne auf Raumschiffe oder auf andere Transportmittel angewiesen zu sein. Das mutet unplausibel an, ist vom Leser aber zu akzeptieren.
Seine Liebe zur Literatur bringt der Autor auch in „Zweigstelle Fort Moxie“ zum Ausdruck: Der Protagonist, ein bislang erfolgloser Schriftsteller, erhält die Gelegenheit, eine besondere Bibliothek zu betreten, die nur unveröffentlichte (Meister-) Werke aufnimmt, die die Menschheit zu würdigen noch nicht in der Lage ist – und ihr sein Buch anzuvertrauen.
Die erste Space Opera in „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“ ist „Schwarz am Zug“. Eine Expedition stößt auf einen verlassenen Planeten mit einer hochentwickelten Infrastruktur – ein Gambit?
In „Versprochen ist versprochen“ strapaziert der Autor erneut die Glaubwürdigkeit seines Plots. Die aus drei Raumschiffen bestehende Jupiter-Expedition havariert. Nur ein Teil der Besatzungsmitglieder kann zur Erde zurückkehren. Immerhin hat aber ein Crewmitglied einen schnelleren Antrieb entwickelt, der es ermöglicht, auch den zurückgebliebenen Expeditionsteilnehmer zu retten – eine Fernsehjournalistin, die weiß, wie sie dieses Projekt initiieren muss.
„Geisterschiff“ schildert die Ereignisse, die zum Ausgangspunkt des ersten Romans um Alex Benedict und Chase Kolpath werden sollten, „Die Legende von Christopher Sims“. Ein Forschungsschiff entdeckt im Orbit eines Planeten das zweihundert Jahre alte Raumschiff des Kriegshelden Christopher Sims – intakt, aber leer. Der Planet hält eine weitere Überraschung bereit. In „Geisterschiff“ deuten sich bereits die Handlungsmuster an, die McDevitt in den meisten Romanen seiner Future Histories gelungen umzusetzen wusste: das Lösen von historischen Rätseln.
Auch in „Kryptisch“ erwartet der Autor von Aliens nichts Gutes: Im Rahmen des SETI-Projektes werden Signale aufgefangen, die auf Bewegungen von Außerirdischen zwischen den Sternen hindeuten: ein Eroberungsfeldzug?!
Einen pessimistischen Grundton weist auch „Tiger“ auf, in dem ein Wissenschaftler unser Universum als künstlich geschaffen entlarvt – und damit rechnet, dafür bestraft zu werden.
„Ellie“ ist eine Endzeitstory, in der der Protagonist gezwungen wird, das Ergebnis eines Experiments in seinem Status quo zu halten.
Als Katastrophenstory mit einem Horroreinschlag ist „Nehmt Abschied, Brüder, ungewiss“ zu verstehen: Nach jedem Treffen des Protagonisten mit einem Freund ereignen sich Attentate, Flugzeugabstürze und Meteoriteneinschläge.
„Standardkerzen“ ist in der US-amerikanischen Originalausgabe die Titelstory. Es ist keine phantastische Story, sondern schildert die enttäuschten Hoffnungen eines ambitionierten Wissenschaftlers, hält aber immerhin die Hoffnung auf ein persönliches Happy End bereit.
Düsterer und zugespitzter gibt sich „Gezeiteneffekte“: Hier lässt ein Wissenschaftler einen Jungen ertrinken, den er nur um den Preis seines eigenen Lebens hätte retten können, weil er weiterforschen will.
In „Die Jersey-Flinte“ greift McDevitt zum zweiten Mal das Motiv des Schachspiels auf. Der beste Schachspieler lebt in der US-amerikanischen Provinz von New Jersey, ist über achtzig Jahre alt, hat bis Anfang der fünfziger Jahre (des vergangenen Jahrhunderts) nur eine Partie pro Jahr gespielt (gegen die besten Schachspieler der Welt) und gewonnen, will aber nicht an das Schachbrett zurückkehren. Er spielt dennoch, und gewinnt natürlich. „Die Jersey-Flinte“ holt das Schachspiel augenzwinkernd aus dem Rampenlicht organisierter Turniere in die Welt von Durchschnittsmenschen zurück.
„Zur Hölle mit den Sternen“ ist ein weiteres Plädoyer, und zwar für die Science Fiction, die in ferner Zukunft wieder entdeckt wird.
In „Gus“ präsentiert der Autor dagegen einen virtuellen Augustinus, ein Computerprogramm, das ein Bewusstsein und, wie es selbst meint, eine Seele zu entwickeln beginnt. Die Bewusstseinsbildung von künstlichen Intelligenzen ist ein Standardthema des Genres, die Entstehung einer Seele mag als nächster, konsequenter Schritt anmuten. Zumindest für sehr religiöse Leser.
Die „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“ enthalten auch zwei Zeitreise-Storys. Wobei die erste, „Kreuzen durch das Deutoronomium“, keine ist. Der Protagonist wird zwar mit den Auswirkungen seiner Erfindung, der Zeitmaschine, konfrontiert, doch er blufft, denn das Gerät funktioniert nicht.
Anders dagegen in „Zeitreisende sterben nie“, der längsten Story der Sammlung. Der Erfinder der (funktionierenden) Zeitmaschine kommt bei einem Wohnungsbrand ums Leben; sein Partner und seine Freundin müssen anschließend beobachten, wie die Welt aus den Fugen gerät. Durch Zeitreisen können sie die Auswirkungen von Zeitparadoxen beseitigen. „Zeitreisende sterben nie“ wird damit zu einer simplen, keineswegs innovativen Zeitreisestory. (Die Kurzgeschichte wurde zu dem kürzlich erschienenen Roman „Zeitreisende sterben nie“ (Bastei-Lübbe TB 24396, 2011) erweitert.)
Der Themen der Stories in „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“ spiegeln sich in McDevitts Romanen wider und gehen teilweise darüberhinaus. Die Qualität der Kurzgeschichten ist typisch für eine Sammlung: geniale Texte („Standardkerzen“, „Schwarz am Zug“, Zweigstelle Fort Moxie“, „Zur Hölle mit den Sternen“, „Die Jersey-Flinte“, „Geisterschiff“ und „Kryptisch“) stehen neben mittelmäßigen („Gezeiteneffekte“, „Übersetzungen aus Kolosianischen“, „Tiger“ „Ellie“, und „Kreuzen durch das Deutoronomium“) und enttäuschenden („Versprochen ist versprochen“, „Nehmt Abschied, Brüder, ungewiss“, „Gus“ und vor allem „Zeitreisende sterben nie“).
Für Leser, zu deren bevorzugten Autoren Jack McDevitt gehört, ist „Übersetzungen aus dem Kolosianischen“ unentbehrlich. Vielleicht hat die Edition Andreas Irle noch ein Einsehen und lässt der Hardcoverausgabe eine kostengünstigere Paperback- oder Taschenbuchversion folgen.