Daedalos - Der Story-Reader für Phantastik 17 (Buch)

Daedalos - Der Story-Reader für Phantastik 17
Titelbild: Audrey Beardsley
p.machinery, 2025, Paperback, 80 Seiten, 15,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Die neueste Ausgabe des Story-Readers für Phantastik - immerhin bereits die 17. Nummer - erscheint mit einer aufsehenerregenden Meldung. Die vorliegende ist die letzte Ausgabe bei p.machinery. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Periodikum eingestellt wird. „Daedalos“ erscheint fortan in der Edition Dunkelgestirn von Eric Hantsch. Nach fünf aktuellen Nummern sowie einem Auswahlband der ersten, längst vergriffenen Ausgaben steht somit ein Verlagswechsel an - die Herausgeber danken dem bisherigen Verleger, und man scheint sich in bestem Einvernehmen getrennt zu haben.

1994 erblickte „Der Story-Reader für Phantastik“ das Licht der Welt. Verleger Hubert Katzmarz und Autor Michael Siefener, später ergänzt durch Andreas Fieberg, legten bis 2002 ein Dutzend Ausgaben des Magazins vor, das Maßstäbe setzte. Das Who’s Who der deutschsprachigen Phantastik-Szene veröffentlichte hier herausragende Erzählungen, die jeweils kongenial durch Illustrationen alter Meister auch visuell umgesetzt wurden.

Nach dem Tod Katzmarzs wurde das Magazin eingestellt, erlebte jedoch bei p.machinery mit seiner ungewöhnlichen äußeren Gestaltung im Zweispaltensatz eine Renaissance. Die Mini-Hardcover-Ausgabe des von Ellen Norten und Michael Siefener herausgegebenen Bandes „Daedalos 1994–2002“ ist längst vergriffen; die Paperback-Ausgabe sowie das eBook sind jedoch weiterhin erhältlich und nach wie vor sehr empfehlenswert.

Dies vorausgeschickt, können wir uns nun der neuen Ausgabe zuwenden. Äußerlich bleibt alles beim Gewohnten - das großformatige Layout, der Zweispaltendruck und die klassischen, zu den jeweiligen Beiträgen passenden Innenillustrationen prägen erneut den unverwechselbaren Eindruck des Bandes.

Zehn Geschichten nebst einer Nachbemerkung von Robert N. Bloch zum letzten Beitrag erwarten den Leser.


Peter Schünemann knüpft in „Feuerschatten“ nahtlos an seine in „Daedalos“ 16 erschienene Geschichte an. Damals wurde uns der verstorbene Autor Friedrich zu Weyterstadt-Hohenthal vorgestellt. Dieses Mal besucht dessen Witwe den früheren Freund des Autors, um ihrer Herkunft auf die Spur zu kommen - die Hinweise in den Geschichten deuten eine Richtung an, die ebenso phantastisch wie unmöglich erscheint…

Andrea Tillmanns beschäftigt sich in ihrem kurzen, pointierten Beitrag „Lebensverlängernde Maßnahmen“ mit dem Versuch des Menschen, den eigenen Tod hinauszuzögern. Als bei einem Mann Lungenkrebs diagnostiziert wird, greift er auf eine Idee zurück, die er und seine Freunde einst im Rausch ersonnen haben: Was auf Erden hat eine längere Lebenszeit als ein Baum? Wurzeln, Wachsen, Sonne, Wind, Ruhe – bis…

Horst-Dieter Radkes „Die Rückkehr“ berichtet von einer großen Liebe. Ein Mann zieht in die Ferne, um das Geld für die gemeinsame Zukunft zu verdienen. Auf dem Heimweg begegnet er einer jungen Maid - und zu Hause erwartet ihn ein Mausoleum…

Florian Wimmlers „Die Schreiber“ stellt uns einen Bürokraten inmitten einer brodelnden, zugleich geordneten Bürokratie vor. Als er in die Stadt zur Maschine, die alles und jeden beherrscht, beordert wird, eröffnet sich ihm für einen kurzen Moment die Möglichkeit, dem ewigen Trott zu entfliehen.

t.elling | Sven Holly Nullmeyer erzählen in „Die letzte Tat des Fenris Wulff“ von einer Welt, in der Wunder wahr werden. Der Tod, der Krieg, der Hunger - alles besiegt, überall Frieden. Überall? Nicht bei demjenigen, der diesen Zustand herbeigeführt hat…

Michael Tillmann entführt uns in „Die überwiegende Anzahl aller Haustiere wird nicht artgerecht gehalten“ in einen Pub in Warwickshire - einen Pub, in dessen Toilettenvorraum ein Spitzmaulnashorn umgeht.

Johannes Dillinger greift in „Das Taxi“ das klassische Motiv der Geister-Geschichte auf. Ein Mann weiß, er muss möglichst schnell zu seiner Mutter - ein Taxi wartet, eines, das weit schneller fährt, als erlaubt, und ein Fahrer, der längst nicht mehr unter den Lebenden weilt…

Johanna Dab behandelt in „Wissen und nicht wissen“ die Frage, was wäre, wenn es selbstschreibende Bücher gäbe. Bücher, die die Wahrheit verändern, die wiederum neue Bücher entstehen lassen, die ihrerseits schreiben - bis sich die falschen Bücher, die Lügen verbreiten, nicht mehr von den echten unterscheiden lassen. Was also kann man tun?

Karl Rosner schließlich entführt uns in „Die Mumienhand“ ins Land der Pharaonen. Einem deutschen Forscher wird vor seiner Heimreise von einem alten Fellachen eine Mumienhand überreicht - eine Hand, deren Besitz ihm keine Freude bereitet.

Es folgt abschließend Robert N. Blochs Nachbemerkung zu Karl Rosner.


Wie unschwer an diesen kurzen Inhaltsanrissen zu erkennen ist, haben sich die Herausgeber erneut erfolgreich darum bemüht, einen bunten Strauß ganz unterschiedlicher Preziosen zu präsentieren. Von klassischen Motiven bis zu realistisch anmutenden Geschichten im Hier und Jetzt reicht das Spektrum.

Auffällig erscheint, dass in dieser Ausgabe kein Beitrag aus dem Potpourri besonders hervorsticht. Alle Erzählungen vermögen es, den Leser zu fesseln, zu unterhalten und mitunter zu gruseln. Doch die eine, alles überstrahlende Geschichte fehlt. Am ehesten besitzt der klassische Beitrag von Karl Rosner dieses Potenzial - vielleicht auch, weil mir das Sujet besonders liegt und ich stets eine gewisse Affinität zum alten Ägypten und seinen Relikten hatte.

Nichtsdestoweniger bietet der Band durchweg lesenswerte Geschichten, die handwerklich überzeugen, immer wieder überraschen und faszinierende Unterhaltung garantieren.