Gesa Schwartz: Sturmkuss - In Fire and Rain 1 (Buch)

Gesa Schwartz
Sturmkuss
In Fire and Rain 1
Piper, 2025, Paperback, 494 Seiten, 17,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Es gab einmal eine Zeit, da die Menschen oben, inmitten von dem, was übriggeblieben ist, gelebt haben. Jetzt sind die Häuserschluchten von Manhattan, von ganz Groß-New-York, ja von der ganzen Welt verfallen, dem giftigen Odem der Luft ausgesetzt.

Diejenigen, die den Krieg überlebt haben, sind in die Tiefe der Erde abgetaucht. Hier, in den weitverzweigten Tunneln, den Gängen und Kavernen, haben sie sich mühsam ein neues, ein karges Leben aufgebaut.

Diebe, wohlgeschützt durch Atemmasken und Schutzkleidung, gehen immer wieder nach oben, plündern die Ruinen und schaffen dringend Benötigtes - wie auch Erinnerungen an ein früheres Leben - nach unten. Dass sie dabei immer wieder den Gefahren der Oberfläche zum Opfer fallen, ist bekannt und treibt die Preise nach oben. Denn nicht nur gefährliche Killer-Reptilien warten in den Ruinen auf Unvorsichtige, der Himmel selbst ist die Heimat der größten Bedrohung. Die Ära der Menschen ist vorüber - jetzt herrschen die Drachen und ihre Reiter!

Sira hat es gelernt, vorsichtig zu sein. Ihre Eltern fielen dem Überfall von Drachenreitern zum Opfer, nur ihrem kleinen, kränklichen Bruder und ihr selbst gelang die Flucht.

Seitdem hält sie sich und ihre Restfamilie durch Diebstähle an der Oberfläche über Wasser. Als einzige Frau unter den Dieben, hat sie es dabei nicht unbedingt einfach. Doch, was keiner weiß, nicht einmal ahnen darf: Sie hat gegenüber ihren Konkurrenten einen entscheidenden Vorteil - sie ist gegen die giftige Atmosphäre immun.

Als die königlichen Drachenreiter einen neuen Anschlag auf die Tunnel ausführen, bei dem auch Siras Bruder von Drachenmagie getötet wird, steht sie an einem Wendepunkt ihres Lebens. Sie könnte weitermachen wie bisher; sich verstecken, Pfannen und Messer aus der Oberwelt stehlen und weiter von der Flucht in die Wildnis träumen. Oder sie könnte, zusammen mit Norik, dem Sturmreiter und Rebell, gegen den König und seine Schattenreiter zu Felde ziehen. Doch dafür muss sie zunächst ihren Hass gegen die Drachen überwinden und ihre Gaben annehmen…


Dystopien sind, wie bekannt, nicht unbedingt die Werke, die ich am liebsten zur Hand nehme. Nun kann und soll man dies nicht verallgemeinern, zumal Gesa Schwartz mich in ihren Romanen bislang immer in ihren Bann ziehen konnte. So gab ich dem optisch wunderbar gelungenen Buch eine Chance - und habe dies, um das vorwegzunehmen, nicht bereut.

Dass mir dabei so Einiges bekannt vorkam, liegt schlicht daran, dass uns die Verfasserin kein ganz neues Werk vorlegt. 2016 erschien in ihrem damaligen Hausverlag der erste Band einer projektierten Reihe, „Ära der Drachen“. Nach dem überraschenden Verkauf von Lyx an Lübbe blieb es bei dem einen Roman, der zudem in den Wirren des Eigentümerwechsels etwas unterging.

Nun hat sie den ursprünglichen Roman genommen, überarbeitet und ausgeweitet - nicht von ungefähr sind nicht weniger als 87 komplett neue Kapitel hinzugekommen - und ihn zu einem Zweiteiler erweitert.

„In Fire and Rain“ ist in einer Zukunft angesiedelt, in der die Menschen zunächst in Eintracht mit den Drachen lebten. Nach einem zunächst nicht näher beschriebenen Krieg herrscht ein despotischer König mit und mittels der Drachen und seiner mitleidlosen Drachenreiter über die Welt, unterjocht und jagt die Überlebenden in ihren Tunneln und Gängen.

Mit Sira hat die Autorin erneut eine tapfere Frau in den Mittelpunkt ihrer Handlung gestellt.

Dass noch nie eine Frau zur Drachenreiterin ausgebildet wurde und dass sie sich auch ihren Platz unter den Dieben mühsam erobern musste, bietet Schwartz die Gelegenheit, ihre Aussagen zur Gleichberechtigung und zum Umgang mit Vorurteilen miteinfließen zu lassen.

Dabei ist die Protagonistin beileibe keine einfache Gestalt für ihre Leser. Sie ist voller Gefühle: impulsiv, überbrodelnd und aggressiv, aber auch voller Angst. Dabei ist sie - nachvollziehbar - zögerlich, dann wieder vorpreschend; für jeden Schritt voran macht sie kurz darauf einen halben zurück. Das wirkt in seiner Ausgestaltung sehr realitätsnah und damit überzeugend und nachvollziehbar. Dabei offenbart sie durchaus Nehmer-Qualitäten, entwickelt sich fort und wächst uns so langsam ans Herz.

Dass die Autorin damals New York bereist und erforscht hat, bemerkt man an der einfühlsamen, aber auch detailreichen Darstellung der Häuserschluchten mit ihren leeren Wohnungen, den ausgebrannten Fahrzeugen und bröckelnden Hochhäusern.

Mit den Drachen hat die Autorin dann - wie zuvor mit dem Gargoyle beziehungsweise den Nephilim - wieder ein übernatürliches Element in ihre Handlung eingebaut. Die Drachen sind sehr interessant und differenziert dargestellt; eine sich abzeichnende, zögerliche Romanze wirkt nicht überladen. Der Kampf gegen den Despoten sorgt für jede Menge Dramatik und packende Kampf-Beschreibungen, wobei immer auch Platz für nachdenkliche Szenen bleibt.

Stilistisch bleibt Gesa Schwartz sich treu. Ausschweifend, dabei aber angenehm flüssig zu lesen, bietet sich der Text an, der einmal mehr mit Figuren punktet, die sich hinterfragen, die vielschichtig gezeichnet sind und die uns so an die Hand nehmen und in die phantastische Handlung ziehen.