Lucia Herbst: Göttin der Vergessenen (Buch)

Lucia Herbst
Göttin der Vergessenen
Piper, 2025, Paperback, 416 Seiten, 18,00 EUR

Rezension von Christel Scheja

Lucia Herbst scheint sich auf die Fahne geschrieben zu haben, Mythen und Sagen nachzuerzählen, dabei aber die weibliche Sicht hervorzuheben und den Göttinnen damit auch Gerechtigkeit zu verschaffen. Das hat sie bereits in ihrer Reihe um die „Greek Goddesses“ getan, nun wendet sie sich im dem Einzelband „Göttin der Vergessenen“ den nordischen Sagen zu.


Hella und ihre Brüder haben ihr ganzes bisheriges Leben in einer Höhle verbracht. Aus gutem Grund, denn ihre Eltern haben sie vor den Asen gewahrt, den hasserfüllten und grausamen Göttern des Nordens. Aber das Schicksal lässt sich nicht aufhalten, die drei geraten in Gefangenschaft und sehen als Kinder Lokis einem ungewissen Schicksal entgegen.

Doch Hella verzweifelt nur kurz über ihre Entstellung und die Verbannung in die Welt des Ewigen Eises, und macht sich auf die Suche nach ihrer von den Nornen bereits angedeuteten Bestimmung. Schon bald merkt sie, dass sie mehr tun kann, als Rache an den Asen nehmen zu wollen.


Wieder einmal kommen die männlichen Götter bis auf wenige Ausnahmen nicht gut weg. Denn Lucia lässt auch an Odin, Thor und anderen kein gutes Haar, gerade einmal Balder ist bereit, die unschuldigen Kinder Lokis mit einer Riesin nicht für die Verbrechen ihres Vaters zu verurteilen und ihnen die Freiheit zu geben.

Aber genau die Gefangenschaft ist der Wendepunkt von Hellas Leben, die immerhin auch Hilfe von denen bekommt, von denen sie es nicht erwartet. Denn auch wenn nordischen Göttinnen vordergründig zu ihren Männern stehen, auch sie haben so Einiges zu sagen und helfen der jungen Frau auf ihrem Weg. Denn auf ihrer persönlichen Quest erkennt Hella, dass ihre Bestimmung eine ganz andere ist, als Rache zu nehmen. Sie will ihre Familie immer noch zusammenführen, entdeckt aber auch eine Aufgabe, die ihr genauso ans Herz wächst. Denn noch andere werden verachtet und vergessen - und für diese wird sie zur persönlichen Retterin.

Und das ist auch, was die Geschichte ausmacht. Wieder einmal zeigt die Autorin, die Frauen der nordischen Mythologie in einem ganz anderen Licht, enthüllt die Verbrechen, unter denen diese leiden mussten. Und ihre Heldin findet am Ende einen selbstbestimmten Weg, der sie wachsen und zu einer mächtigen Gegenspielerin werden lässt, die es aber nicht mehr nötig hat, Rache zu nehmen.

Das wird erneut mit viel Leidenschaft und unterhaltsam erzählt. Hier geht es auch wieder einmal nicht um Liebe, sondern um die Selbstbestimmung und einen anderen Blick auf diejenigen, die in den normalen alten Mythen eher negativ dargestellt werden. Der Roman ist in sich geschlossen und rund, auch wenn die Autorin natürlich jederzeit in diese Sagenwelt zurückkehren und sich einer anderen Heldin annehmen kann.

„Göttin der Vergessenen“ erzählt die Geschichte der nordischen Totengöttin Hel einmal aus einer ganz anderen Sicht und gibt dem ganzen einen selbstbestimmt weiblichen Touch, der auch noch eine ganze Weile nachwirkt, weil die Entwicklung in sich stimmig und vor allem versöhnlich bleibt.