T. J. Klune: Das Lied des Wolfes - Green Creek 1 (Buch)

 

T. J. Klune
Das Lied des Wolfes
Green Creek 1
(Wolfsong - Green Creek Book 1, 2016)
Übersetzung: Michael Pfingstl
Heyne, 2025, Paperback, 688 Seiten, 18,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Ox ist zwölf, als sein Vater beschließt, dass er genug von seiner kleinen Familie hat. Vielleicht will er auch einfach nur weg aus Green Creek, im Herzen der Cascade Mountains. Sein Vater hat immer gesagt, Ox sei nicht die hellste Kerze auf der Torte - und das stimmt wohl auch. Nachdem der Vater sich aus dem Staub gemacht hat, ist Ox nun der Mann im Haus. Auch wenn er manchmal weint, wenn der Telefonhörer, mit dem er seinen Vater zu erreichen versucht, kaputtgeht, weil er ihn in seiner Verzweiflung zu fest gedrückt hat, weiß er: Jetzt muss er dafür sorgen, dass seine Mom und er über die Runden kommen.

Als die Briefe und Anrufe von der Bank überhandnehmen, beginnt er, in der örtlichen Autowerkstatt schwarz zu arbeiten.

Vier Jahre später ändert sich alles. In das sterbende Kaff im Nirgendwo zieht eine neue Familie: die Bennetts. Und die sind vom Wesen her ganz anders. Bei ihnen geht es zumeist lustig und temperamentvoll zu, und sie integrieren den jungen Mann schon bald in ihre Sippe.

Selbst Ox merkt, dass mit der Familie irgendetwas nicht ganz stimmt. Als ihm schließlich offenbart wird, dass sie Werwölfe sind, ist er überrascht - aber nicht schockiert. Schließlich gehört auch Joe zum Rudel, ein junger Mann, für den Ox schon bald Gefühle entwickelt.


T. J. Klune ist ein Autor, der die leisen Töne liebt. Mit viel Gespür für die Zeichnung interessanter Figuren hat er uns intensive Romane wie etwa die „Parnassus“-Saga geschenkt.

Oftmals richtet er in seinen Werken sein Augenmerk auf Menschen - oder Roboter -, die einsam und allein durchs Leben gehen. Auch Ox reiht sich nahtlos in diese Gruppe von Protagonisten ein. Ein junger Mann, an der Schwelle vom Kind zum Erwachsenen, der seine Vaterfigur verliert und nun ungewollt und unerwartet die Rolle des Mannes im Haus übernehmen muss - und damit naturgemäß überfordert ist.

Klune hat mich schnell in seinen Plot hineingezogen. Ich hatte Mitleid mit Ox, der geistig kein Überflieger ist und es ohnehin schwer hat, akzeptiert zu werden. Umso erleichterter sind er - und mit ihm die Leserinnen und Leser -, als er in der neu zugezogenen Familie Aufnahme findet. Viel Wert wird auf die behutsame Annäherung der beiden jungen Männer gelegt, aus denen später ein Paar wird.

Der Plot wird aus Ox’ Perspektive erzählt, wobei Klune stilistisch seiner Figur treu bleibt: Die Geschichte wird in eher kurzen, einfachen Sätzen präsentiert. Das Setting erinnert stark an die ländlichen Ortschaften im Bible Belt der USA. Hier ticken die Uhren noch etwas anders, alles wirkt geruhsamer und weniger hektisch als in den Großstädten. In diese vertraute Umgebung platziert der Autor dann seine übernatürlichen Wesen, die der Protagonist ohne großes Hinterfragen akzeptiert - auch wenn er ihre Probleme zunächst nicht nachvollziehen kann.

Dieser Auftakt - dem noch drei weitere Romane folgen - ist ein Beleg dafür, dass Klune schon früh sein Talent gezeigt hat. Mit einfühlsam gezeichneten Figuren in einem vertrauten Umfeld, die sich sowohl alltäglichen als auch außergewöhnlichen Herausforderungen stellen, schafft er ein Werk voller Tiefe. Uns erwartet ein Buch der leisen Töne - ein Roman, der ohne große Action-Szenen auskommt, der pittoreske Bilder zeichnet, berührende Schicksale schildert und mit hintergründigem Humor sowie emotionalem Tiefgang überzeugt. Ein echter Klune eben.