Anne Herzel: Verlorene Städte - Lichter unter London 1 (Buch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 25. April 2025 14:00

Anne Herzel
Verlorene Städte
Lichter unter London 1
Cross Cult, 2025, Paperback, 320 Seiten, 18,00 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Maeve studiert in Dublin Katakomben-Forschung. Eines fernen Tages, wenn - nicht falls - sie die Prüfungen erfolgreich ablegt, wird sie als eine der „Mudlarks“ den Untergrund Londons erforschen, wissenschaftliche Erkenntnisse ebenso zu Tage fördern wie Reichtümer. Das zumindest ist ihr Plan. Bis dahin aber hat sie es nicht einfach. Mitstudierende mobben sie und andere aus ihrer Klasse. Um dem einen Riegel vorzuschieben, geht Maeve eine riskante Wette ein. Sie schließt sich einer Touristengruppe an, entfernt sich von dieser, um einen der seltenen Kristalle zu suchen und als Beweis für ihren Mut mit heimzubringen.
Es kommt, wie es kommen muss. Maeve verunglückt, rutscht zunächst in den „First Drop“, dann noch eine Etage tiefer in den „Second Drop“, immer in Gefahr, von der ihr unbekannten Flora und Fauna getötet zu werden.
Zusammen mit einigen Tiefenschürfern flieht sie, nur um vom mysteriösen Wächter der Tiefen gejagt, gefunden und gezeichnet zu werden. Der Biss, mit dem der Wächter ihr Handgelenk zeichnet, sorgt nicht nur dafür, dass sie wochenlang in ein Koma fällt - „dank“ des Bisses kann sie auch die Oberfläche nie mehr betreten, sonst stirbt sie unweigerlich.
Blaise, ein komischer Kauz, hilft ihr zunächst widerwillig, sich hier unten zurechtzufinden. Die einzige Möglichkeit, vielleicht doch Heilung zu finden, bietet ein Ort, von dem nur geraunt wird: eine gläserne Stadt, so tief unten, wie noch niemand zuvor dort war. Ein Ziel, das Maeve zwingt, sich den unschönen Seiten des menschlichen Eroberungswahns und der Habgier zu stellen…
Der erste Teil der Dilogie um die „Lichter unter London“ besticht durch ein wunderbar anderes, faszinierendes Setting.
Die Katakomben unterhalb der Metropole Londons wurden bereits einige Male als Handlungsort genutzt. Ich darf nur an die Romane um die „Uralten Metropolen“ (Heyne) vom wunderbaren Christoph Marzi erinnern oder an die „Tunnel“-Reihe von Roderick Gordon und Brian Williams (dt. 3 der 6 Bände bei Arena) - und doch hat Anne Herzel vorliegend eine ganz andere Welt erdacht. Ein System an Katakomben mit fremdartigen Wesen, einem Ökosystem, das sich hier und nur in den Tiefen entwickelt hat - und das einmal mehr vom Menschen gestört, ja zerstört wird. Diese faszinierend fremde, sehr einfühlsam beschriebene Welt steht auf der Haben-Seite des Romans.
Weniger gelungen dagegen ist die Zeichnung der Figuren - allen voran unserer Protagonistin. Schon ihre Motivation zur Expedition erscheint kaum glaubwürdig, die Absetzung von der Touristengruppe nebst anschließendem Unfall wirkt ebenfalls nicht unbedingt überzeugend. Hier wirft uns die Autorin nur einige wenige, beiläufige Anmerkungen zu einem Unfall hin, der Maeve ins Krankenhaus bringt, und nennt das Mobbing als Begründung - Genaueres erfahren wir hierzu nicht. Dazu kommt, dass sie sich, einmal in den Untergrund - im wahrsten Sinne des Wortes - abgerutscht, extrem unpassend verhält. Statt ihre Unsicherheit, ihre Panik ins Zentrum zu stellen, begleitet sie drei Tiefenschürfer bei deren Beutezug, der dann natürlich prompt schiefgeht. Der Zufall muss allzu oft herhalten, um die Handlung voranzubringen.
Auch erklärt die Verfasserin zu viel - „Show, don’t tell“, heißt es so treffend. Das sind Anfängerfehler, die hätten berichtigt werden können. Wir tauchen kaum in die Figur ein, leben, leiden nicht mit ihr, fürchten kaum um ihr Schicksal. Entsprechend schwer fällt der Einstieg in den Plot. Im Verlauf der Geschehnisse wird die Zeichnung unserer Erzählerin besser, sie nimmt eine aktivere und in sich logischere Rolle ein.
So bleibt ein zwiespältiger Eindruck: eine fesselnde, interessante Kulisse, die den Plot dominiert . dazu eine Hauptfigur, die nicht wirklich überzeugt. Warten wir ab, wie die Autorin ihre Handlung im abschließenden zweiten Band fortsetzen wird.