Der unsichtbare Gast (DVD)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 17. April 2025 15:10

Der unsichtbare Gast
E 2016, Regie: Oriol Paulo, mit Mario Casas, Bárbara Lennie, José Coronado u.a.
Rezension von Elmar Huber
Ein Erpresser hat den erfolgreichen Geschäftsmann Adrián Doria (Mario Casas: „69 Tage Hoffnung“, „Kings of the City“) und seine Geliebte Laura (Bárbara Lennie) mit einer Tasche voller Geld in ein abgelegenes Hotel bestellt, wo sie in einer vorab reservierten Suite auf weitere Instruktionen warten sollen.
Beide sitzen auf glühenden Kohlen, und während Laura im Schlafzimmer wartet, wird Adrián angegriffen und bewusstlos geschlagen. Als er wieder erwacht, ist Laura tot, und die Polizei steht vor der Tür. Da es keine Spuren einer dritten Person gibt und das Zimmer von Innen verschlossen war, gilt Adrián als dringend tatverdächtig.
Für seine Verteidigung vor Gericht holt er sich die Star-Anwältin Virginia Goodman (Ana Wagener: „Kidnapped“). Es soll ihr letzter Fall vor dem Ruhestand sein, und sie denkt nicht daran, ihre Karriere mit einer Niederlage zu beenden.
Innerhalb von drei Stunden müssen sie und Adrián in der Nacht vor seiner Gerichtsverhandlung die Ereignisse nochmals von Anfang an durchgehen, eine tragfähige Verteidigung aufbauen und mögliche alternative Szenarien erarbeiten, die Zweifel an Adriáns Schuld zulassen.
Mit „Der unsichtbare Gast“ legt Drehbuch-Autor und Regisseur Oriol Paulo nach seinem gelungenen Verwirrspiel „The Body - Die Leiche“ erneut einen wendungsreichen Thriller vor, bei dem man nicht glauben sollte, was man zunächst sieht.
Die Ausgangsidee für den Film könnte das Locked Room Mystery, das Geheimnis des verschlossenen Raums, sein, das fast schon ein eigenes Genre innerhalb der Detektiv-Geschichten darstellt. Zahlreiche Klassiker wurden um ein solches Rätsel gesponnen, von Edgar Allan Poes „Doppelmord in der Rue Morgue“ über einige Fälle für Sherlock Holmes (zum Beispiel „Das gefleckte Band“), Agatha Christie, John Dickson Carr, Gaston Leroux bis zu zeitgenössischen Autoren, deren Werke schon als Hommage an das Genre gelten (Gilbert Adair, Jeffrey Deaver).
„Der unsichtbare Gast“ kümmert sich nun nicht um die Aufklärung des Falls, vielmehr gilt es, theoretische Möglichkeiten und Motive für den Tathergang zu finden, die Adrián entlasten könnten. Vor seiner Anwältin muss dieser nun nochmals die Ereignisse ausbreiten, die zu diesem schicksalhaften Moment geführt haben. Dies markiert den Beginn der Rückblenden, die drei Monate zuvor einsetzen.
Adrián unterhält eine Beziehung mit der Mode-Fotografin Laura, die er jedoch beenden will, um seine Ehe zu retten. Während des Gesprächs, das er und Laura im Auto führen, kommt es zu dem Zwischenfall - auf Spanisch der titelgebende „Contratiempo“ -, einem Wildunfall, in den noch ein zweites Fahrzeug verwickelt wird. Für den jungen Fahrer des anderen Wagens endet der Unfall tödlich. Um nicht aufzufliegen, müssen Laura und Adrián die Leiche verschwinden lassen.
Doch läuft dies nicht so reibungslos, wie gedacht. Ein Zeuge taucht am Unfallort auf, dem die beiden eine Scharade vorspielen, und nachdem Adrián, zwecks Entsorgung von Wagen und Leiche, im Auto des Toten weggefahren ist, springt sein Wagen, den Laura fahren soll, nicht mehr an. So ist sie auf den vorbeikommenden Tomás Garrido (José Coronado: „The Body - Die Leiche“) angewiesen, der das Auto abschleppt. Zufällig ist Garrido nicht nur Kfz-Ingenieur und kann den Wagen bei sich zu Hause reparieren, sondern auch der Vater des Toten, der gemeinsam mit seiner Frau den Sohn zum Abendessen erwartet.
Für Adriáns Anwältin ist dies ein gefundenes Fressen, lässt sich daraus doch eine Rache-Tat Garridos konstruieren, zumal dieser Adrián und Laura tatsächlich auf die Spur kommt und verfolgt. Soweit zumindest Adriáns Geschichte. Doch kann Virgina Goodman der Erzählung ihres Mandanten überhaupt trauen? Immer neue Wendungen und Widersprüche lassen Zweifel an Adriáns Aussage keimen. Auch könnte von Anfang an Laura hinter den Ereignissen stecken, denn viele Dinge weiß Adrián von ihr bloß aus zweiter Hand. Oder kam der Unfallzeuge nochmals zurück, hat sie weiter beobachtet und anschließend erpresst?
So spielt der Film immer wieder Varianten der Ereignisse durch, experimentiert mit verschiedenen Personen als Drahtzieher mehrerer möglicher Szenarien und präsentiert sogar eine Möglichkeit, wie sich der Mord an Laura durch einen Dritten, den „unsichtbaren Gast“, hätte bewerkstelligen lassen.
Bis zum Ende gelingt es Regisseur und Drehbuch-Autor Oriol Paulo, diese Ungewissheit für den Zuschauer zu halten, dem schnell klar wird, dass er nicht alles, was er sieht, für bare Münze nehmen darf. Auch die Auflösung der Geschichte muss man als gelungen bezeichnen, denn sie kommt aus einer unerwarteten Richtung und gibt dem Filmtitel noch eine gänzlich andere Bedeutung.
Selbst der Verweis auf Hitchcock, den das Cover bemüht, ist gar nicht so weit hergeholt. Zumindest was die Präzision angeht, mit der Oriol Paulo zu Werke geht, erinnert dies schon an den Thriller-Altmeister. Sogar der Score von Fernando Velázquez vermittelt klassisches Psycho-Thriller-Feeling. Auch das Versenken des zu entsorgenden Autos im See/Sumpf kann man als „Psycho“-Zitat sehen.
Insgesamt ist das Drehbuch sehr clever geraten, verrät nie zu viel, verliert sich umgekehrt nicht in Unwahrscheinlichkeiten und verkauft den Zuschauer nicht für dumm. Die Handlung schreitet in einer anregenden Geschwindigkeit vorwärts, das Timing der Szenenwechsel (Gegenwarts-/Vergangenheitshandlung) ist sehr gut, und durch den zeitlichen Rahmen von drei Stunden, in denen die Gegenwartshandlung spielt, baut der Film einen angenehmen Druck auf, der sich auf das Publikum überträgt.
Die Darsteller-Auswahl ist äußerst gut gelungen, allen voran der attraktive Mario Casas als erfolgsverwöhnter Senkrechtstarter und die enorm wandlungsfähige Ana Wagener als toughes Glenn-Close-Pendant, die ihrem Mandanten die Hölle heiß macht.
„Der unsichtbare Gast“ ist ein wendungsreiches und clever konstruiertes Was-wäre-wenn-Spiel, das den Zuschauer bis zum überraschenden Ende bei der Stange hält.