Anthony Horowitz: Die Morde von Pye Hall (Hörbuch)

Anthony Horowitz
Die Morde von Pye Hall
Susan Ryeland 1
(Magpie Murders, 2017)
Sprecher: Katja Danowski & Bodo Wolf
GOYALiT, gekürzte Lesung, 2018, 8CDs, ca. 600 Minuten, 17,49 EUR

Rezension von Elmar Huber

Susan Ryeland, Lektorin bei dem kleinen Londoner Verlag Cloverleaf Books, hält endlich das Manuskript des neuesten „Atticus Pünd“-Abenteuers in Händen. Die Geschichten um den deutschstämmigen Gentleman-Detektiv, sind die absoluten Bestseller und das unverzichtbare Standbein des Verlages.

„Morde von Pye Hall“ (bewusst ohne den Artikel) beginnt mit einem Todesfall, den Pünd zunächst nicht verfolgen möchte, da es um seine Gesundheit nicht zum Besten steht und alles nach einem Unfall aussieht. Mary Blakeston, die Haushälterin auf dem Anwesen Pye Hall, ist augenscheinlich eine Treppe hinabgestürzt. Erst als zwei Wochen später darauf der Hausherr getötet wird - geköpft -, macht sich der Detektiv mitsamt seinem Assistenten auf den Weg nach Saxby-on-Avon, um die Ereignisse aufzuklären.

Wie bereits die Vorgänger-Romane um Atticus Pünd entwickelt sich auch „Morde von Pye Hall“ in bester Agatha-Christie-Tradition mit einer Menge Verdächtiger, Beobachtungen, Motive und Gelegenheiten, die nach und nach ein Gesamtbild entfalten sollen. Doch als es an die Enthüllung des Täters geht, ist das Manuskript plötzlich zu Ende. Die restlichen Kapitel, die die Auflösung des Falles beinhalten und wahrscheinlich auch über das weitere Schicksal des erkrankten Detektivs aufklären, fehlen.

Den Autor Alan Conway nochmals um die letzten Seiten zu bitten, ist nicht mehr möglich, denn dieser ist an eben dem Wochenende, an dem Susan das Manuskript gelesen hat, von einem der Türme seines Hauses zu Tode gestürzt. Nach dem anfänglichen Schock fasst sich Susan schnell wieder und geht auf die Suche nach den fehlenden Kapiteln. Zunächst an naheliegenden Adressen, in Conways Landsitz, wo sie von dem Lebensgefährten des Autors empfangen wird, bei seinem Rechtsanwalt, seiner Schwester, die als Testleserin fungierte, und so weiter.

Zwar kann ihr in Bezug auf den Roman niemand weiterhelfen, doch für Susan wird immer deutlicher, dass es unübersehbare Parallelen zwischen dem Roman und dem Leben des Autors gibt, was die Orte, vor allem aber die Figuren angeht. Jeder Charakter aus „Morde von Pye Hall“ hat eine Entsprechung im echten Leben. Und je weiter sich Susan vorarbeitet, desto mehr gelangt sie zu der Überzeugung, dass Alan Conway ermordet wurde.


Dass Anthony Horowitz ein geübter und erfolgreicher Krimiautor ist, ist hinreichend bekannt. Auch, dass er neben seiner Romanserie um den jugendlichen Agenten Alex Rider ein Faible für Detektiv-Geschichten hat, ist kein Geheimnis. Von ihm ist unter anderem der „Sherlock Holmes“-Roman „Das Geheimnis des weißen Bandes“ geschrieben worden, der sogar von The Doyle Estate beauftragt wurde und damit zum offiziellen Kanon um den berühmten Detektiv gehört. Außerdem verfasste Horowitz mehrere Drehbücher für die „Poirot“-TV-Serie mit David Suchet als Agatha Christies Hercule Poirot.

Der belgische Detektiv ist es auch, an den die Figur Atticus Pünd mehr als deutlich angelehnt ist; der Fall „Morde von Pye Hall“ ist ganz bewusst den Kriminalromanen der „Queen of Crime“ nachempfunden. Auch wenn dies allein schon kurzweilige Unterhaltung auf hohem Niveau garantieren sollte, gibt sich Anthony Horowitz nicht mit der reinen Nachahmung eines Christie-Romans zufrieden, er bietet dem Leser einen Krimi im Krimi.

Der Roman steigt mit Teil 1 der Handlung um Lektorin Susan Ryeland ein, bis sie irgendwann mit dem Lesen des Manuskripts „Morde von Pye Hall“ beginnt. So weit haben wir als Leser bereits einen umfangreichen Einblick in ihr Umfeld, und der Einstieg in Alan Conways Roman stellt einen gewissen Bruch dar, nach dem es sich neu zu orientieren gilt. Das könnte verwirrend sein, besonders da die Rahmen- wie auch die Handlung des eingeschobenen Manuskripts über nicht gerade kleine Figuren-Ensembles verfügen. Doch was zunächst überfrachtet erscheint, entwirrt sich sehr schnell wieder.

Horowitz gelingt es absolut phantastisch, seine Leser zügig auch in die neue Handlungsebene zu ziehen und die Charaktere derart grandios zu zeichnen, dass alles sehr übersichtlich bleibt. Nahezu sofort befindet man sich im ländlichen England des Jahres 1955 und verfolgt gespannt eine Detektivgeschichte, die ihren großen Vorbildern in nichts nachsteht.

Zurück in der Gegenwart beginnt man unwillkürlich mit Susan Ryeland „zu ermitteln“, die mit der Jagd nach den letzten Manuskriptseiten plötzlich zur Detektivin wird. Wie sie sucht man nach beinahe unwillkürlich Parallelen zwischen der „Pye Hall“-Handlung und dem echten Leben des Autors. Wer könnte wer sein? Wo gibt es gleichartige Motive? Alan Conways Faible für Anagramme, Initialen und Namensspielereien helfen mehr als einmal, weitere Hinweise aufzudecken.

Die Hörbuch-Umsetzung von GoyaLiT steht dem hervorragenden Roman in Nichts nach. Da man zwei Geschichten in einer bekommt, wird auch die Lesung von zwei Interpreten bestritten. Die Rahmenhandlung um Susan Ryeland wird von der Theater- und TV-Schauspielerin Katja Danowski gelesen, die es hervorragend versteht, die Figuren durch kleine Redeanpassungen unterscheidbar zu machen, ohne ihre Stimme unnatürlich verändern zu müssen. Den Part um Atticus Pünd liest der bekannte Synchon- und Hörspielsprecher Bodo Wolf (unter anderem die Synchronstimme von Robin Williams un Christopher Walken) ebenfalls äußerst angenehm, gelassen und in unaufdringlicher Weise lebendig.

Die Artikelbeschreibung spricht von einer „gekürzten Lesung“, doch sind hier ohne Vergleich zur Buchversion keine Lücken zu bemerken.

„Die Morde von Pye Hall“ ist ein grandioser, sorgfältig durchkomponierter Detektiv-Roman klassischer Bauart, der gleichauf mit seinen Vorbildern gelesen werden kann und diese noch um eine moderne (Meta-) Ebene ergänzt. Die erstklassige Hörbuch-Version ist ein Erlebnis und Kopfkino pur.