Daedalos - Der Story-Reader für Phantastik 16 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 05. April 2025 07:34

Daedalos - Der Story-Reader für Phantastik 16
Titelbild: Audrey Beardsley
p.machinery, 2025, Paperback, 78 Seiten, 18,90 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Fast ein Jahr ist vorbei - und was für ein Jahr das für uns alle war. Trotz aller Widrigkeiten, Gefahren und Aufregungen gibt es aber auch etwas Positives zu vermelden. Die neue Ausgabe von „Daedalos“ ist da - die sechzehnte und, wie wir es von dem Story-Reader für Phantastik erwarten und erhoffen, bleibt die gebotene Qualität erneut herausragend! So ist auch diese Ausgabe für mich wieder ein Grund zur Freude, ein Hoffnungsschimmer angesichts der immer weiter um sich greifenden uniformen Romantasy-Romane, die uns Verlage aller Couleur anpreisen.
Nochmals kurz zur Historie: 1994 erblickte der Story-Reader für Phantastik das Licht der Welt. Verleger Hubert Katzmarz und Autor Michael Siefener, später ergänzt durch Andreas Fieberg, legten bis 2002 ein Dutzend Ausgaben des Magazins vor, das Maßstäbe setzte. Das Who is Who der deutschsprachigen Phantastik-Szene veröffentlichte hier seine herausragenden Erzählungen, die jeweils kongenial durch und mit Illustrationen alter Meister auch optisch umgesetzt wurden.
Nach dem Tod Katzmarzs wurde das Magazin eingestellt, erlebte dann bei p.machinery mit einer ganz ungewöhnlichen äußeren Gestaltung im Zweispaltensatz in einem Auswahlband der besten Beiträge des Magazins eine kleine Renaissance. Die Mini-Hardcover-Ausgabe des von Ellen Norten & Michael Siefener herausgegebenen Bandes „Daedalos 1994 - 2002" ist längst vergriffen, die Paperback-Ausgabe sowie das eBook sind weiterhin erhältlich und lohnen sich nach wie vor sehr.
Dies vorausgeschickt, dürfen wir uns nun der neuen Ausgabe zuwenden. Äußerlich bleibt alles beim gewohnten Bild, sprich: übergroßes Format, Zweispaltendruck und klassische, zu den jeweiligen Beiträgen passende Innenillustrationen prägen den einzigartigen äußeren Eindruck des Bandes.
Zehn Geschichten nebst einer Nachbemerkung von Michael Siefener zum letzten Beitrag erwarten den Rezipienten.
Friedrich zu Weyterstadt-Hohenthals „Feuersbrunst“ präsentiert uns „Irrlicht“ Nr. 16 - „Magazin für dunkle Fantastik“, auf das die Fans des Genres immer ungeduldig warten. Unter diesen ist ein Paar, das die Geschichten immer zusammen goutiert. Bis der Mann in der neuesten Ausgabe eine Erzählung von einem Autor entdeckt, der merkwürdigerweise den Nachnamen seiner Angetrauten trägt - und dies, obwohl die gesamte Familie vor einigen Jahrzehnten bei einem Brand umgekommen ist.
Horst-Dieter Radkes „Sei folgsam“ erzählt von einer geheimnisvollen Frau und ihrer Katze. Ein Galan macht ihr den Hof - nur um dann auf eine doch etwas andere Art und Weise von ihr liebkost zu werden, als erhofft und erwartet.
Julia Mostowas „Das geheime Grimoire“ greift das Motiv des Magiers und Alchemisten auf, der ganz im Studium seiner Grimoires aufgeht - bis eines Tages eine Frau in sein Leben tritt… mit letztlich drastischen Auswirkungen.
Wussten Sie, dass an Bord der „Titanic“ auch Hunde waren? Ellen Nortens „Haddock“ erzählt uns die tragische Geschichte eines Paares, bei dem der Mann zusammen mit dem Hund gen Amerika aufbrach, seine Verlobte sollte später folgen. Das Schicksal der „Titanic“ ist bekannt, doch der Verbleib des Hundes überrascht uns dann doch.
Alexa Rudolphs „Der Himmel bleibt niemals leer“ spielt in einem Gefängnis - genauer gesagt, in den wenigen Überbleibseln, die von der Haftanstalt und ihren Inhaftierten übriggeblieben sind. Ein Wald wächst an dieser Stelle, gedüngt von Blut und Eingeweiden - die Seelen der ermordeten Verbrecher sind sorgfältig in kleine Päckchen verpackt…
Nikolaus Schwarz‘ „Licht aus, sie kommen!“ widmet sich einem Phänomen, das in den letzten Jahren seinen Weg über den großen Teich zu uns gefunden hat. „Süßes oder Saures“, fragen da mehr oder minder gut geschminkte Vampire, Dämonen und Hexen. Manches Mal wird ihnen bereitwillig die Tür geöffnet, dann wieder werden sie wüst verjagt - wenn das mal nicht die Aufmerksamkeit anderer Wesen weckt, die in dieser Nacht die Grenze überschritten haben.
Alexander Klymchuks „Schmerzgrenze“ war für mich die Überraschung schlechthin in diesem Band. Der mir bis dato unbekannte Verfasser präsentiert einen munteren Plot voller wunderbar charakterisierter Figuren, eine aberwitzige Handlung und ein überraschendes Ende - um Karner-Blue-Schmetterlingseier, die im höchst unbelebten Kopf eines Amokläufers gefunden werden. Und der Herr Kommissar - Inspektoren gibt es nur im TV - nebst seiner Assistentin wissen nicht wirklich, was sie mit den Indizien anfangen sollen, gibt es doch Parallelen zu einem Fall Ende des 19. Jahrhunderts in Wisconsin…
Björn Helbigs „Die Strafe“ kombiniert den Prometheus-Mythos mit einem forschenden Professor, der ein ums andere Mal seine Forschungen unterbrechen muss - der anstehende Termin ist wahrlich unaufschiebbar.
Andreas Müllers „Lichtspielhausträume“ stellt uns einen Mittfünfziger vor, dessen Leben aus dem Ruder läuft. Seine Träume - immer derselbe - bringen ihn langsam, aber sicher um den Verstand. Er betritt ein Kino, in dem ausschließlich Filme aus seinem Leben gezeigt werden. Szenen, in denen er scheitert. Aber wer ist der Filmvorführer?
Eine humoristische, unheimliche Geschichte - etwas sehr Seltenes - schließt den Band dann ab. Manfred Kybers „Das Gerippe“ stellt uns den Tod vor - so wie mit Gerippe, Sense und Eieruhr. Nur, dass eben jener Tod ein wenig feucht geworden ist und einen neuen Beruf sucht. In einem Kaufhaus soll in der Küchenabteilung, Untersparte Eieruhren, ein Job frei sein…
Wie man unschwer an diesen kurzen Inhaltsanrissen erkennen kann, haben sich die Herausgeber erneut erfolgreich darum bemüht, uns einen bunten Strauß ganz unterschiedlicher Preziosen zu kredenzen. Von klassischen Motiven reichen die Themen bis zu real wirkenden Storys im Hier und Jetzt.
Wer also eher klassisch orientierte unheimliche Literatur mag, der findet hier wunderbaren Nachschub für seinen Bücherschrank.