Cixin Liu: Der Blick von den Sternen (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 13. März 2025 11:22

Cixin Liu
Der Blick von den Sternen
Übersetzung: Karin Betz, Johannes Fiederling & Marc Hermann
Heyne, 2025, Hardcover, 336 Seiten, 20,00 EUR
Rezension von Gunther Barnewald
Dieser Band enthält zwei Novellen (ca. 40 Seiten) und vier Kurzgeschichten (10 bis 20 Seiten) von Cixin Liu, dazu ein kurzes Interview und 12 Essays beziehungsweise Einleitungen und Überlegungen des Autors. Da die einzelnen Texte schön getrennt wurden durch Vorsatzblätter, bleiben so von den knapp 320 Seiten nur ca. 280 Seiten Text übrig. Die Erzählungstexte allein hätten früher gut in ein altmodisches Taschenbuch von 144 beziehungsweise maximal 160 Seiten gepasst.
Dass der Verlag für das (zugegebenermaßen) schön gestaltete taschenbuchgroße Hardcover einen Preis von 20,00 EUR aufruft, ist wohl der großen Prominenz des Autors geschuldet, der nach dem durchschlagenden Erfolg seiner „Trisolaris“-Trilogie (und einer Serien-Verfilmung des Stoffs) mittlerweile recht prominent geworden ist (und sogar den bekanntesten SF-Preis der Welt, den Hugo Award, bekam).
„Schmetterling“, eine der beiden Novellen, erzählt von einem serbischen Forscher in den 90er Jahren, der die Bombardierung seiner Heimatstadt durch die NATO verhindern will. Da er ein Computerprogramm entwickelt hat, welches Vorhersagen treffen kann, welcher kleinste Effekt weltweit welchen Einfluss hat, versucht er seine Heimatstadt durch Dauernebel einzuhüllen, indem er an verschiedenen Punkten der Welt kleine Effekte verursacht, die dann große Wirkung haben. Leider gelingt ihm dies nur kurzfristig, seine Frau und sein Kind sterben schließlich doch...
Eine tragische Geschichte, die etwas darunter leidet, dass die Protagonisten so blass und schematisch bleiben.
In der anderen längeren Geschichte, „Der Einstein-Äquator“ (einer sehr typischen Kurzgeschichte für den Autor Cixin Liu), führt ein physikalisches Experiment fast zur Zerstörung des ganzen Universums, weshalb eine Art „kosmischer Beschützer“ eingreift. Durch ihn haben Wissenschaftler aber die Gelegenheit, fast alle Geheimnisse des Universums aufzuklären, jedoch zum Preis ihres fast sofortigen Todes. Trotzdem nehmen dieses Angebot viele an, auch der (bei Cixin Liu) berühmte Physiker Dang Yi, obwohl seine Frau extra die gemeinsame Tochter mitbringt, um ihn dazu zu bewegen, diesen Schritt nicht zu gehen. Doch Dang Yi erweist sich als gnadenlos egoistisch, was vom Autor jedoch merklich positiv bewertet wird.
Eine moralisch sehr zwiespältige Novelle.
In der Kurzgeschichte „Der Bote“ besucht ein Zeitreisender aus der Zukunft den alternden, eher pessimistisch eingestellten Physiker Albert Einstein und gibt ihm den Glauben an die Menschheit zurück.
Eine recht atmosphärische Erzählung, allerdings ohne großen Überraschungseffekt.
In der Kurzgeschichte „Schicksal“ wird eine für den Autor sehr untypische, recht „flippig“ wirkende Geschichte erzählt: Ein junges Pärchen entdeckt auf einem Weltraum-Ausflug mit einem kleinen Raumschiff einen auf die Erde zu rasenden riesigen Asteroiden. Den beiden gelingt es, die Bahn des Körpers leicht zu verschieben, so dass dieser in den Erdorbit einschwenkt. Zu spät entdecken die beiden, dass sie vorher durch eine Anomalie eine Zeitreise gemacht hatten und in der Kreidezeit gelandet waren. Es gelingt dem Pärchen, ihre eigene Zeit wieder zu erreichen, ihr Eingriff hat die Evolutionsgeschichte der Erde jedoch völlig verändert, die „Krone der Schöpfung“ wurde entmachtet, die „zivilisierte Welt“ ist eine völlig andere...
Eine sehr bunte, abenteuerliche und extrem wendungsreiche Erzählung von einem Autor, der sonst eher für sogenannte Hard-SF (also naturwissenschaftlich geprägte) Texte bekannt ist. Bei dem Plot der Geschichte würden Psychoanalytiker wohl zurecht von einer „gewaltigen narzisstischen Kränkung der Menschheit“ reden! Leider ist der Plot bereits nach etwa der Hälfte der Story sehr vorhersehbar.
In „Walgesänge“ wird von einem skrupellosen Drogenboss erzählt, der auf eine seltsame Art des Drogenschmuggels verfällt, was für ihn und den beteiligten Wissenschaftler leider zum Desaster wird...
Ebenfalls eine etwas an den Haaren herbeigezogene Story, die sich aber vergnüglich lesen lässt, wenn man nicht allzu tiefsinnig über die hier vorgestellten Prämissen nachdenkt.
Die Story „Das Ende des Mikrokosmos“ handelt ebenfalls von dem (beim Autor) „berühmten“ Physiker Dang Yi. Auch hier verändert ein physikalisches Experiment die Welt nachhaltig und verängstigt die gesamte Menschheit, auch wenn der Urzustand wieder hergestellt werden kann.
Eine ebenfalls extrem naturwissenschaftlich geprägte Erzählung, die aber irgendwie eher wie eine etwas leblose Fingerübung wirkt und dabei doch fast wie eine Hommage an Isaac Asimovs berühmte Story „Nightfall“ gelesen werden kann (leider fehlen hier genau die Beschreibungen der Auswirkungen des physikalischen Effektes auf die Zivilisation, die Asimovs Klassiker so eindrücklich macht).
Ein Interview mit Cixin Liu über seinen Roman „Kugelblitz“ und einige Begleitfragen rund um das Werk des Autors werden ergänzt durch einen längeren Text von Liu über die zukünftige technischen Entwicklung der Menschheit (der Schriftsteller äußert in „Die Welt in fünfzig Jahren“ eine Reihe sehr gewagter Prognosen), darüberhinaus gibt es einige Vorwörter zu verschiedenen Sonderausgaben seiner Werke oder Einschätzungen zu Werken anderer Autoren (vor allem Ken Liu betreffend in „Poetische Science-Fiction“).
Interessant ist dabei immer wieder die spezifische Sichtweise des Autors auf seine Werke und vor allem seine allgemeine Einschätzung, was SF bezwecken solle, nämlich eine Art staunenden Blick auf die Schöpfung (vor allem in dem hier enthaltenen Essay „Glaubensbekenntnis“ geäußert), weshalb Cixin Liu auch öfters Arthur C. Clarke erwähnt, da dieser SF-Klassiker diesen Blick wohl am besten abdeckt aus Sicht des Autors. Eine nachvollziehbare Einschätzung, wenn auch Lius Ausrichtung sehr einseitig und eindimensional wirkt (denn Phantastik kann viel mehr, meiner Einschätzung nach).
Ein insgesamt nicht uninteressantes Buch, welches jedoch für den relativ hohen Preis nicht wirklich großen Lesegenuss bietet aus meiner Sicht. Für Fans des Autors sicherlich ein Muss, für den Rest eher entbehrlich. Wer Cixin Liu noch nicht kennt, der sollte eher (zum Kennenlernen) zu seiner Erzählungssammlung „Die wandernde Erde“ greifen oder, für Leser mit entsprechendem Durchhaltevermögen, gleich zur voluminösen und sensationell guten „Trisolaris“-Trilogie.