Mithu Sanyal: Mithu Sanyal über Emily Brontё (Hörbuch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 07. Januar 2023 09:13

Mithu Sanyal
Mithu Sanyal über Emily Brontё
Bücher meines Lebens 2
Herausgeber: Volker Weidermann
Vollständige Lesung von Mithu Sanyal
Mit einem Vorwort von Volker Weidermann, gelesen von Bernd Reheuser
Argon, 2022, Download, ca. 197 Minuten, 10,00 EUR
Rezension von Irene Salzmann
Über Mithu Melanie Sanyal erfährt man aus der Wikipedia, dass sie die Tochter eines indischen Vaters und einer polnischen Mutter ist, 1971 in Düsseldorf geboren wurde, verheiratet ist und zwei Kinder hat. Nach einem Studium der deutschen und englischen Literatur promovierte sie über „Die Kulturgeschichte des weiblichen Genitals“. Die Doktorarbeit lieferte die Vorlage zu dem Buch „Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“. Ihr weiterer Lebensweg liest sich wie eine links-feministische-antirassistische Bilderbuchkarriere, die von diversen Publikationen (Bücher, Hörbücher, Artikel) zu den entsprechenden Themen begleitet wird [21.12.2022].
Recherchiert man den Namen Mithu, der wie „me too“ klingt, erfährt man, dass es sich um einen in Deutschland seltenen Namen indischen Ursprungs handelt, der vor allem in den Jahren 1971 bis 1973 und zwischen 2000 und 2010 einige Male registriert wurde [21.12.2022]. Falls jemand Bezüge zu knüpfen versucht: Der Hashtag „MeToo“ kam erst 2017 auf.
Zur Erinnerung:
Der Vater von Hindley und Catherine Earnshaw bringt von einer Reise den Waisenjungen Heathcliff mit nach Wuthering Heights, der sich den Hass des Sohnes, der fürchtet, durch den nicht standesgemäßen Fremdling verdrängt zu werden, zuzieht und gleichzeitig zum Seelengefährten der Tochter wird. Um Heathcliff besser unterstützen zu können, vermählt sich Catherine mit dem vermögenden Edgar Linton aus der Nachbarschaft und stirbt bei der Geburt der gemeinsamen Tochter Cathy. Heathcliff, der von Catherines wahren Beweggründen nichts ahnt, verlässt voller Eifersucht und Wut den Gutshof. Als er zurückkehrt, ist er ein reicher Mann. Skrupellos nutzt er sein Vermögen und seinen Einfluss, um die Earnshaws und Lintons sowie deren Nachkommen, auf die sich sein ganzer Hass richtet, zu ruinieren. Sein wahres Ziel ist jedoch, baldmöglichst wieder mit Catherine vereint zu sein, wenn nicht im Diesseits, dann im Jenseits.
In „Mithu Sanyal über Emily Brontё“ fasst die Autorin die Handlung des berühmten Romans „Sturmhöhe“ beziehungsweise „Wuthering Heights“ (veröffentlicht 1847) von Emily Brontё (1818 bis 1848) und einiger Verfilmungen, deren bekannteste vermutlich die von William Wyler aus dem Jahr 1939 mit Merle Oberon, Laurence Olivier und David Niven sein dürfte, zusammen.
Obgleich „Sturmhöhe“ schon aufgrund der vielen Fans nie in Vergessenheit geriet, richtete sich der Fokus erst 1978 erneut auf das Buch und die Filme, nachdem Kate Bush mit „Wuthering Heights“ (aus dem Album „The Kick Inside“) einen Welthit landete. Auch die „Twilight“-Autorin Stephenie Meyer knüpft an die Popularität von „Sturmhöhe“ an, denn es ist Hauptfigur Bella Swans Lieblingsbuch, das diese immer wieder liest, weil sie vermeint, Parallelen zu ihrem eigenen Leben - zu ihrer Person und der zunächst hoffnungslosen Liebe zu dem Vampir Edward Cullen - zu sehen.
Geht man nun ziemlich unbedarft an Mithu Sanjals (Hör-) Buch „…über Emily Brontё“ heran, erwartet man sicher zurecht die tatsächlich vorhandene Zusammenfassung des Roman-Inhalts, die Erwähnung von (Abweichungen bei den) Verfilmungen, das Nennen von Vertonungen des Motivs und sonstiger Adaptionen, ferner die Einordnung des Romans in den historischen Kontext und den gesellschaftlichen Hintergrund der Brontёs zuzüglich einiger Verweise auf interessante Interpretationsversuche in der Vergangenheit.
Das liefert die Autorin durchaus, doch, wie man schnell merkt, weniger um einen sachlichen, runden Überblick über Emily Brontё, ihr Werk und die verschiedenen Deutungen, die dem jeweiligen Zeitgeist geschuldet sind, zu vermitteln; stattdessen stellt sie ihre ganz persönliche Sichtweise und die Verknüpfung mit ihrer Person in den Mittelpunkt.
Das wird vor allem deutlich, wenn bestimmte Auslegungen detaillierter als andere ausgeführt werden, insbesondere solche, die den Gender-Aspekt (unter anderem die Urheberschaft von „Sturmhöhe“, Emily Brontёs ‚Hosenrolle‘, ihre und Catherines Identifikation mit Heathcliff) und Diskriminierung, Kolonialismus, Rassismus (Heathcliff hat lediglich einen Namen, seine mysteriöse Herkunft, die negativ konnotierte Beschreibung seines Aussehens etc.) thematisieren.
Tatsächlich ‚macht Mithu Sanyal die Bella‘, indem sie „Sturmhöhe“ mit sich verbindet, es als eines der „Bücher meines Lebens“ bezeichnet. Spätestens jetzt wird dem noch immer unbedarften Leser/Hörer klar, dass in „Mithu Sanyal über Emily Bröntё“ nur vorgeblich der Fokus auf die namhafte Autorin und ihr einziges und herausragendes Werk gerichtet ist - sondern vielmehr auf Mithu Sanyal selbst, indem sie über ihr eigenes Leben, vor allem rassistische Erfahrungen, erzählt und ihre Impressionen von „Sturmhöhe“ damit assoziiert.
Infolgedessen wird alles, teils gestützt auf die Thesen früherer Kritiker, aus linker, feministischer, gegenderter, antirassistischer, postkolonialer Sicht beleuchtet und auf ein Buch projiziert, das vor über 170 Jahren verfasst wurde und auf einem völlig anderen Gesellschaftsverständnis basiert. Die damalige Wertevorstellung wiederum überträgt Mithu Sanyal auf die Gegenwart und ihre Person, um sich, analog Heathcliff, in der Opferrolle zu präsentieren.
Ja, die Autorin vermittelt sogar den Eindruck, sich in dieser wohlzufühlen, weil sie lieber negative Begegnungen ob ihrer Abstammung auswalzt, als die vermutlich überwiegend offenen, unvoreingenommenen, sie fördernden Bekanntschaften aufzuzählen. Im nächsten Schritt begrüßt sie jüngere Neuinterpretationen von „Sturmhöhe“ (und anderen Werken), in denen PoC ursprünglich weiße (oder mit bis dahin im Rahmen von Blackfacening von Weißen besetzte) Rollen gezielt übernehmen, was von ihr keineswegs als kulturelle Aneignung und Diskriminierung in die andere Richtung erachtet wird.
Mit all dem liegt Mithu Sanyal voll im aktuellen Trend, denn sie wendet sich an eine ausgewählte Klientel und weniger an die allgemeine Leser-/Hörerschaft, die feststellen muss, dass es offenbar nicht mehr genügt, nach einem (Hör-) Buch nur aufgrund eines interessanten Themas, das neue Auslegungen verspricht, zu greifen; man muss tatsächlich auch den Hintergrund des Autors und seine Intention recherchieren, um Vermutungen anstellen zu können, ob die Erwartungen erfüllt werden oder nicht.
Freilich sollten gesellschaftliche Probleme und Fehlentwicklungen auch in der Literatur angesprochen werden, doch wenn lediglich das eine gegen das andere Extrem ausgetauscht wird und neue Ressentiments geschürt werden, kann aus einem Gegeneinander kaum ein Miteinander, können Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen (Mann - Frau, Alt - Jung, Indigene - Einwanderer und so weiter) schwerlich beigelegt und eine sinnvolle Aufarbeitung zurückliegender Herabsetzungen inklusive Versöhnung vorgenommen werden. Gut gemeint, ist nicht automatisch gut gemacht, wenn daraus eine neue Apartheid entstehen könnte.
Das freundliche Vorwort von Volker Weitermann wird von Bernd Reheuser und das Buch von der Autorin selbst klar, sehr gut verständlich und im nass-forschen „Was ist dein Problem“?-Ton moderner junger/jung gebliebener Frauen vorgetragen, bei dem man spontan an die Synchronsprecherin von Sarah Michelle Gellar in „Buffy - Im Bann der Dämonen“, Nana Spier, denkt.
„Mithu Sanyal über Emily Brontё“ ist kein (auto-) biografisches Sachbuch für Fans der Brontё-Schwestern und ihrer Werke, das neue Einsichten bietet, sondern in erster Linie eine links-feministische Selbstdarstellung unter Verwendung des zugkräftigen Namens Emily Brontё. Die woke Zielgruppe wird es wohlwollend aufnehmen.