Die Erektion 1 (Comic)

Die Erektion 1
(L'érection 1, 2016)
Text: Jim
Titelbild und Zeichnungen: Lounis Chabane
Übersetzung: Resel Rebiersch
Splitter, 2018, Hardcover, 72 Seiten, 16,80 EUR

Rezension von Elmar Huber

Samstagabend, einige Tage vor Weihnachten in Paris: Lea und Florent haben das befreundete Pärchen Andrea und Jean-Fabrice zum Abendessen eingeladen, um in dieser gemütlichen und vertrauten Runde Leas 48. Geburtstag zu feiern. Als Andrea damit herausrückt, dass sie und Jean-Fabrice sich trennen werden, ist der Abend gelaufen. Noch bevor sich das Ex-Paar kurz darauf verabschiedet, bemerkt Lea, dass Florent einen beachtlichen Ständer hat, für den sie zunächst Andrea und deren luftiges Outfit verantwortlich macht. Erst nach einigem Hin und Her beichtet Florent, dass er sich zum Jux und als Geburtstagsüberraschung für Lea eine Viagra eingeworfen hat. Doch statt, dass sich der Streit damit in Lachen und Wohlgefallen auflöst und endlich die Privatparty losgeht, die sich Florent erhofft hatte, eskaliert der Streit weiter.

 

Mit „Die Erektion“ hat Jim (Thierry Terrasson) einen Comic für Erwachsene geschrieben, der mit seinen Dialogen, Wendungen und Entwicklungen Woody Allen zur Ehre gereichen würde. Aus einer vermeintlich harmlosen und sogar witzigen Situation entspinnt sich ein Wortgefecht, das an den Grundfesten von Leas und Florents langjähriger Beziehung rüttelt.

Die Argumente reichen von „Was findest du an der blöden Schlampe von Andrea, dass du hier mit einem Dauerständer rumläufst?“ über „Mach ich dich nicht mehr an, dass du chemische Hilfe brauchst?“ bis zum schwerwiegenden Vorwurf des Vertrauensbruchs. Da wirkt dieser als Jux gedachter Fauxpas wie Wasser auf Leas Mühlen, die ihre Jugend und Attraktivität mit Riesenschritten schwinden sieht.

Eine erhitzte Situation, in der Florents Argumente überhaupt nicht zu ihr durchdringen, der nichts anderes tun kann, als zu versuchen, sie zu beschwichtigen und die Harmlosigkeit seiner Absicht zu erklären. Dinge, die vermutlich jeder, der in einer Beziehung lebt, in der einen oder anderen Weise und Ausprägung wiedererkennt.

Meisterhaft gelingt es Jim, die Argumente beider Seiten plausibel zu vermitteln und für keinen seiner Charaktere Partei zu ergreifen. Weder steht Lea als hysterische und überempfindliche Zicke da, noch Florent als gefühlloser und notgeiler Spinner. Auch das Umfeld, das indirekt ebenfalls Einfluss auf die Dynamik des Zwiegesprächs hat, ist phantastisch gestaltet. Plötzlich spürt Lea förmlich den Spießer-Mief aus den Wänden der gemeinsamen Wohnung dringen, in der vorher Florents Eltern lebten. Und ein Stock über dem streitenden Paar ist eine Eltern-außer-Haus-Party im Gange, bei der schon mal ein Höschen über das Balkongeländer segelt.

So pendelt „Die Erektion“ meisterhaft auf einem schmalen Grat zwischen Drama und Komödie. Der Disput erfolgt noch vergleichsweise kultiviert, und keine der Figuren und Sichtweisen werden ins Lächerliche gezogen.

Zeichner Lounis Chabane hat bereits Jims „Helena“ illustriert und überzeugt auch hier mit einem sehr eleganten Strich, der Jims ebensolche Erzählweise perfekt illustriert. Die warme Farbgebung sorgt ebenfalls dafür, dass man sich in dem Szenario wohlfühlt. Nicht zu unterschätzen ist außerdem natürlich die Mimik, aber auch wie sich die Figuren während ihres Dialogs in der Wohnung bewegen, wie und wo sie stehen oder sitzen, die non-verbale-Kommunikation. Auch dies hat einen immensen Einfluss auf die Dynamik der jeweiligen Situation und ist von Lounis Chabane brillant umgesetzt.

Ein harmloser Jux entwickelt sich in „Die Erektion“ zu einem ausgewachsenen Beziehungsdisput. Elegant gestaltete und phantastisch ausbalancierte Anatomie eines Streitgesprächs.