Jay Kristoff: A Take of Blood and Darkness - Das Reich der Vampire 1 (Buch)

Jay Kristoff
A Take of Blood and Darkness
Das Reich der Vampire 1
(Empire of the Vampire, 2021)
Übersetzung: Kirsten Borchardt
Tor, 2022, Hardcover, 1020 Seiten, 26,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

„Wisst ihr, was die meisten Menschen viel zu selten tun? ... Die verdammte Klappe halten. Sie setzen sich einfach nicht hin und hören nur zu. In der Stille lernen wir uns selbst kennen. In der Stille hören wir, wie die Fragen, die wichtig, von Bedeutung sind. Wer bin ich? Was will ich? Was bin ich geworden? In Wahrheit sind die Fragen, die man in der Stille hört, stets die furchteinflößenden, weil sich die wenigsten Leute die Zeit nehmen, auf die Antworten zu lauschen.“ (Seite 406)

Jahrzehnte ist es jetzt her, dass etwas die Sonne verdunkelte. Nein, ich spreche nicht vom Einbruch der Nacht, auch ein Sturm oder Sonnenfinsternis sind nicht gemeint. Der Tagestod, etwas Mysteriöses, verdunkelt tagsüber das lebensspendende Licht - und Kreaturen, die sich bislang im Geheimen, allenfalls des Nächtens unter ihren Steinen hervorgetraut haben, treten in unser Leben.

Es gab sie schon immer. Die Rede ist vom Faerievolk, von Hexen, Werwesen und, ja auch von dem übelsten Gezücht - den Vampiren. Sie, die partout nicht tot bleiben wollen, die sich, kaum verblichen, aus ihren Gräbern erheben, machten sich auf, die menschlichen Königreiche zu erobern.

Ihnen entgegen stand ein Orden - der Orden Argentum. Ihre Brüder waren die silberne Flamme, die zwischen der Menschheit und der Dunkelheit brannte. Sie jagen und töten Ungeheuer, die sonst die Welt der Menschen verschlingen würden. Faenvolk und Gefallene, Dämmer-Tänzer und Hexenmeister, Auferstandene und Elende. Einst lebten Vampire in den Schatten, aber jetzt fürchten die Edelblüter die Sonne nicht mehr und die dunkle Region des Ewigen Königs wächst Nacht für Nacht.

In der Existenz eines Eisbluts, wie wir die Vampire treffend nennen, gibt es drei Stadien. Drei Abschnitte in ihrem so genannten Leben. Die gerade erst Verstorbenen nennt man Frischlinge. Jung, vergleichsweise schwach, noch damit beschäftigt, die letzten Spuren ihre menschlichen Natur abzustreifen und sich im Dunkeln zurechtzufinden. Nach etwa einem Jahrhundert voller Morde wird aus einem Frischling ein Mediae, ein Vampir im Vollbesitz seiner Kräfte, extrem gefährlich und ohne einen Hauch dessen, was man als menschliches Moralbewusstsein bezeichnen könnte. Die letzten, tödlichsten sind die Altvorderen, die Erprobten.

Gegen sie zogen wir Brüder zu Felde. Die Kraft zum Kampf gaben uns unser Glaube und unsere Abstammung. Wir alle waren Vampir-Bastarde, unsere untoten Väter hatten sich unseren unschuldigen, lebendigen Müttern aufgezwungen und uns mit der Kraft ihrer toten Lenden geschaffen. Das machte den Kampf für uns persönlich! Die heilige Bruderschaft hatte geschworen, die Reiche gegen die Kreaturen der Nacht zu schützen. Wir stellen uns gegen die Horden, die der Ewige König und seine unsterblichen Kinder - und wir verloren.

Gestatten, dass ich mich vorstelle - Gabriel de León, Stiefsohn eines Schmieds, letzter der Silberwächter des Ordens Argentum, Chevalier des Reiches, Eidbrecher und inzwischen Gefangener der Vampire.

Dabei kann ich nicht klagen. Meine Gefängniswärter versorgen mich mit fast Allem, was mir wichtig ist. Die Droge, die allein das Tier in mir ruhigstellt - aus dem Blut der Untoten gewonnen - und der Rebensaft, ein Monét - die letzten, verbliebenen Flaschen zum Betäuben meiner inneren Verzweiflung.

Natürlich machen sie das nicht ohne Hintergedanken. Ich soll ihnen meine Geschichte erzählen - wie ich zum Silberwächter wurde, wie es zur Blutfehde mit Fabiénes Brut kam, wie ich den Gral fand und warum ich trotz dieses Fundes nicht in der Lage war, das ewige Dunkel zu beenden, die Sonne wieder am Firmament scheinen zu lassen.


Jay Kristoff hat wunderbare Romane geschrieben, aber auch Reihen, die im angloamerikanischen Sprachraum wie bei uns von den Lesern nicht so gut angenommen wurden.

Als Tor seinen hiesigen Ableger eröffnete, erschienen dort nicht nur wegweisende Bücher - ich denke hier an die große Ursula-LeGuin-Ausgabe oder auch die Lovecraft-Edition mit Anmerkungen von Leslie S. Klinger. Die „Nevernight“-Trilogie von Kristoff sorgte für Begeisterung bei Kritikern wie Lesern gleichermaßen.

Während Kristoffs frühe fernöstliche Fantasy-Trilogie um den Lotuskrieg zu Cross Cult wanderte, sicherte sich Tor die Rechte an der „Empire of the Vampire“-Reihe, deren erster Band sich, kaum erschienen, auf den Bestsellerlisten beiderseits des Atlantiks tummelte.

Ich muss gestehen, dass ich ein Faible für die Bluttrinker habe. Der gute Graf aus Transsylvanien ließ mich noch relativ kalt, doch als ich vor gut vierzig Jahren die Bekanntschaft eines gewissen Lestat machte, war es um mich geschehen. Ich suchte und fand seitdem viele Geschichte um die Untoten (Kings „Brennen muss Salem“, Kostovas „Der Historiker“, Collins’ Sonja Blue, Hamiltons Anita Blake etc.), doch selten zog mich eine Beschreibung so in ihren Bann, wie die vorliegende Erzählung.

In zwei unterschiedlichen Handlungssträngen berichtet Gabriel uns in Gefangenschaft von seinem Leben. Wir erhalten einen Blick auf seine Jugend, die Ausbildung im Orden und erste Jagden, die uns en passent, die Historie der Eroberung der Menschenreiche durch die Kreaturen der Nacht erschließt. Der andere Plotstrang ist ein paar Jahrzehnte später angesiedelt, führt uns mit unserem mittlerweile gereiften, desillusionierten Erzähler in eine Welt, die weitgehend unter dem Joch der Vampire stöhnt und in der Gabriel und seine Begleiter versuchen, mittels des Grals das Blatt zu wenden.

Das Ganze ist wunderbar stimmig aufbereitet. Die Schilderungen des gefallenen Streiters sind nicht nur packend, sie wirken auch im höchsten Maße ehrlich. Gabriel verschweigt weder seinen überheblichen Stolz noch seine Fehler, versucht erst gar nicht sich als besser, als integerer zu präsentieren. Ungeschminkt erfahren wir aus seiner Sicht die Geschehnisse, die Fehler, die gemacht, die Sünden die begangen und die Niederlagen die eingesteckt wurden.

Dabei wird der Prozess, der ihn hat vom Glauben abfallen lassen nachvollziehbar aufbereitet. Fragen, die sich Menschen aller Zeitalter stellten und stellen treiben auch unseren Protagonisten um - warum lässt ein allmächtiger Gott derartiges Unrecht zu, warum lässt er Unschuldige, Kinder derart leiden, belohnt die Täter, verhöhnt die Opfer? Fragen, auf die auch Gläubige, auf die Gabriel trifft keine Antwort parat haben, Fragen, die uns auch im realen Leben heimsuchen.

Dazu kommt, dass Kristoff Vieles mit in seinen Plot hineingepackt hat. Es gibt jede Menge Geheimnisse, Verrat, verbotene gleichgeschlechtliche Beziehungen, Fragen der Emanzipation - gerade auch in einer archaischen Welt. Diese Bestandteile hinterfüttern die Handlung mit einer gewissen Tiefe, zwingen die Leser sich auch mit solchen Fragen auseinanderzusetzen.

Nicht zuletzt liest sich der Roman in der wunderbar stimmigen Übersetzung von Kirsten Borchardt flüssig und packend. Trotz seines Umfangs kommen nie Längen auf, will man das Buch eigentlich kaum aus der Hand legen. Dass der Verlag mit kongenialen Illustrationen, geprägter Spotlackierung des Umschlags und geprägtem Deckel des Einbandes das Buch noch weiter veredelt hat beweist, dass man auch dort vom Erfolg überzeugt ist.

So bleibt der Eindruck eines wirklich tollen Buchs; spannend, packend, ergreifend. Einziges Manko: Die Fortsetzung - ausgelegt ist die Reihe auf insgesamt drei Bände - ist auch im Original noch nicht einmal angekündigt.