T. S. Orgel: Die Schattensammlerin: Dichter und Dämonen (Buch)

T. S. Orgel
Die Schattensammlerin: Dichter und Dämonen
Heyne, 2022, Paperback, 478 Seiten, 16,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Wir schreiben das Jahr 1830. Zu Frankfurt am Main zelebriert man Karneval. Die Fahrenden sind zu Gast in der Stadt, überall wird feucht-fröhlich gefeiert. Dies gilt auch im vor kurzem eröffneten Kulturinstitut, dem viele Honoratioren ihre Sammlungsstücke zur Aufbewahrung und zum Ausstellen leihweise überlassen haben.

Die junge Millicent Wohl hat hier eine Anstellung gefunden. Die aufgeweckte Frau dient als Mädchen für Alles - und hat, aufgrund des Maskenballs, für die Gönner des Hauses und die Angesehensten der Stadt alle Hände voll zu tun. Dass sie dabei einem Überfall, bei dem eine Leihgabe entwendet wird, beiwohnt erweist sich als schicksalsträchtig. Sowohl der Besitzer des entwendeten Artefakts, als auch der Dieb heften sich auf ihre Fersen.

Vorhang auf für einen der ganz großen Dichterfürsten unseres Landes. Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe hat dem Institut den Schädel eines alten Freundes, eines gewissen - nicht ganz unbekannten - Dichters (nämlich Friedrich Schillers) als Leihgabe überlassen. Nun wurde ausgerechnet dieser Schädel, der in Weimar bereits einmal im Zentrum einer dunklen Beschwörung stand, entwendet.

Zusammen mit einem höchst skandalträchtigen Angestellten Goethes macht die junge Frau sich auf, das Verbrechen zu lösen - und gerät dabei in Kontakt mit dem Übernatürlichen und in existenzielle Gefahr.


Die Brüder Orgel haben uns bei Heyne bereits in vielfältiger Art und Weise unterhalten. High Fantasy gab es ebenso wie Völker-Fantasy, dazu gesellte sich Science Fiction - und all dies durchaus spannend und handwerklich ansprechend ausgeführt. Vorliegend legt uns ihr Hausverlag die Buchausgabe eines von ihnen entworfenen, aufwendig vertonten Hörspiels vor.

Selbiges ist weit weg von Orks und Elfen, von Schlachten oder Raumschiffen. Stattdessen geht es in unsere eigene Vergangenheit zu einem der bekanntesten Dichter deutscher Zunge.

Dabei haben sich die Verfasser ganz bewusst für eine junge Frau als Erzählerin entschieden. Mit und über diese werden wir in die Zeit katapultiert, in der die Frauen einzig als Heimchen am Herd gefragt waren, in der Emanzipation wie eigenes Denken, unerwünscht waren. Und Denken, das kann unsere Millie. Sicherlich, der Zufall kommt ihr ein paar Mal zu Hilfe, doch ihre Gabe, sich Gesichter zu merken, zu kombinieren führt sie immer wieder auf die Spur der Täter.

Bei der Lektüre merkt man dem Text seine Herkunft an. Dialoglastig werden uns die Figuren kurz in der Interaktion mit anderen vorgestellt, die Charakter-Zeichnung bleibt zunächst eher im Hintergrund. Auch das winterliche Frankfurt am Main ist nicht wirklich dezidiert ausgearbeitet - muss es aber auch nicht sein, da wir über das Miträtseln an den Plot gefesselt werden. Ziel insofern also erreicht. Im Finale warten ein klein wenig viele Eröffnungen auf den Leser, der Aha-Effekt ist hoch, die Spannung natürlich auch, so dass wir schlussendlich das Buch befriedigt zuklappen.

Das Beste: Die Orgels haben sich offen gehalten, ob Goethe und Milli ein weiteres Mal zusammen ermitteln werden.