Daedalos - Der Story-Reader für Phantastik 13 (Buch)

Daedalos - Der Story-Reader für Phantastik 13
Titelbild: Gustav Richard
p.machinery, 2022, Paperback, 74 Seiten, 13,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

1994 erblickt der Story-Reader für Phantastik das Licht der Welt. Verleger Hubert Katzmarz und Autor Michael Siefener, später ergänzt durch Andreas Fieberg, legten bis 2002 ein Dutzend Ausgaben des Magazins vor, das Maßstäbe setzte. Das Who is Who der deutschsprachigen Phantastik-Szene veröffentliche hier und nur hier ihre herausragenden Erzählungen, die jeweils kongenial durch und mit Illustrationen alter Meister auch optisch umgesetzt wurden.

Nach dem Tod Katzmarzs wurde das Magazin eingestellt, erlebte dann im Verlag p.machinery in einer ganz ungewöhnlichen äußeren Gestaltung im Zweispaltensatz in einem Auswahlband der besten Beiträge des Magazins eine kleine Renaissance. Die Mini-Hardcover-Ausgabe des von Ellen Norton und Michael Siefener herausgegebenen Bandes „Deadalos 1994 - 2002“ ist längst vergriffen, die Paperback-Ausgabe sowie das eBook sind weiterhin erhältlich und lohnen sich meines Erachtens sehr.

Mit vorliegender ebenfalls in demselben ungewöhnlichen Format gedruckten Ausgabe Nr 13 nehmen Michael Siefener, Ellen Norten und Andreas Fieberg die Tradition wieder auf und präsentieren uns, rund 20 Jahre nach der letzten, eine neue Ausgabe.

 Elf Geschichten erwarten den Leser. elf Beispiele, die gut auch in die alten Ausgaben gepasst hätten. Natürlich darf ein Klassiker - vorliegend von F. O. Tenneberg - nicht fehlen, ansonsten liegen Erstpublikationen vor.

Inhaltlich bleibt man sich treu - soll heißen, die gehobene Phantastik bleibt das Maß der Dinge; Splatter, Extrem und sonstiger Horror bleibt - glücklicherweise - außen vor.


Inhaltlich hat mich Marco Franciskowskis Auftakt-Story „Der Verrat“ besonders angesprochen. In dieser stellt er uns einen weltfremden Bücherliebhaber vor, der seiner bibliophilen Neigung nachgehend nach dem Beginn der Rente finanziell an seine Grenzen stößt. Es ist schlicht nicht genügend Geld da, um weitere literarische Schätze zu erwerben. Seine Bibliothek weiß einen Ausweg, auch wenn der Sammler und Liebhaber gedruckter Worte dann einen großen Fehler begeht:

Atmosphärisch dicht, inhaltlich zunächst im Gewohnten, Bekannten bleibend entwickelt sich der Plot dann doch ganz anders, als erwartet. Ich konnte förmlich mit unserem Erzähler mitfühlen, wie er seine Schätze hegt und pflegt, wie er sich an diesen erfreut - Bibliophile unter sich... Der Twist dann, interessant und unerwartet.


Es schließen sich Geschichten an von Monika Niehaus (sie greift das Motiv des mittelalterlichen Ertränkens einer Kindsmörderin auf), Ellen Norten (es geht um den Besuch in der heruntergekommenen Villa einer alten Freundin, deren Geist in andere Spären abgetaucht ist und der anders ausgeht, als erwartet), Oliver Henzler (hier trifft ein freigesprochener Mörder in seinen letzten Minuten im Gefängnis auf sein Opfer), Alexander Klymchuk (eine Wanderung geht in diesem Fall anders aus, als gedacht), Kai Focke (zwei Vampire wollen sich in der Story des Tagebuchs ihres Ahnen bemächtigen), Thomas Le Blanc (er berichtet von einem Literaturwissenschaftler, der einen Vortrag zu Lenert-Holenia halten soll, für den er im Wiener Kaffeehaus beim Frühstück noch Informationen einholt), Peter Stohl (hier geht der Urlaub in einem Schloss mit Irrgarten anders aus, als erwartet), Maike Braun (die Reise durch die Dimensionen dient in diesem Fall als Fluchtweg und der Suche nach einer neuen Heimat) und Silke Urbanski (sie bietet eine etwas andere, ungewöhnliche Katzen-Hommage).


All diesen Beiträgen ist ihre Originalität, ihre handwerklich vorbildliche Ausführung und die Gabe zu eigen, den Leser in ihren Bann zu ziehen. Atmosphärisch gelingt es den Verfassern immer wieder eine unwirkliche Stimmung zu zaubern und zu überraschen.

So bleibt mir die große Hoffnung, dass dies ein neuer Anfang ist. Ein Beginn einer ganzen Reihe von „Daedalos“-Veröffentlichungen, auf die wir uns hoffentlich freuen können.