Silvia Hildebrandt & Samantha Bolden: Winterstarre - Cold War Fiction 3 (Buch)

Silvia Hildebrandt & Samantha Bolden

Winterstarre

Cold War Fiction 3

2022, Paperback, 598 Seiten, 16,00 EUR

Rezension von Christel Scheja

Das Schöne an den „Cold War Fiction“-Romanen von Silvia Hildebrandt und ihren Mitautorinnen ist, dass man die Geschichten auch ohne Vorkenntnisse der anderen Bücher lesen kann, da allenfalls bekannte Figuren noch einmal auftauchen, die Handlung aber ganz unabhängig bleibt. So verfolgen sie diesmal nur das Leben von Attila Andras Novak, der bereits in „Steppenfalken“ eine der Hauptrollen spielte. Nun muss er sich in „Winterstarre“ neuen Herausforderungen stellen.


Längst ist das Abenteuer in Ungarn Geschichte und Attila wieder fest in die Struktur der Securitate eingebunden. Er hat mittlerweile ordentlich Karriere gemacht, wenngleich er dafür auch seine Seele verkauft hat. Und nun, im Jahr 1987, muss er mehr denn je dafür sorgen, dass die Aufstände in Rumänien eingedämmt werden und sich die Aids-Seuche ebenfalls nicht weiter ausbreitet.

 Dann aber lernt er den Studenten Mateu kennen und beginnt eine Affäre mit ihm, eine die einen bitteren Beigeschmack bekommt, als er dem jungen Mann als verhörender Offizier gegenübersteht. Doch das ist nicht das einzige Problem, das ihm zu schaffen macht. Denn inzwischen weiß er, dass er HIV-positiv ist und es eine Frage der Zeit ist, wann die Krankheit auch in ihm ausbricht.


Es sind bewegte Zeiten, nicht nur für das Land, das wirtschaftlich am Ende ist, die Hungersnöte und die brutale Unterdrückung zu immer mehr Aufständen führt. In den Jahren 1987 bis 1989 ist Gewalt an der Tagesordnung und gerade die Geheimpolizei ein maßgebliches Instrument um den Diktator Nicolai Ceausescu an der Macht zu halten. Und auch privat läuft es für die Hauptfigur nicht so, wie es soll, entpuppt sich doch der Mann, für den er etwas empfindet, als Aufständischer und erhält nicht nur er eine Hiobsbotschaft, was seine Gesundheit betrifft.

Interessant ist dabei die Ambivalenz, die Attila, sein bester Freund und seine Schwester teilen. Alle sind durch ihren Status im System privilegiert, wenn auch nicht glücklich. Sie sehen durchaus, was schiefläuft, heulen aber erst einmal mit den Wölfen und wagen nichts zu unternehmen, auch wenn sie die Augen vor dem Elend nicht verschließen.

Sie treten sehr menschlich in Erscheinung, versuchen in diesen Zeiten einfach nur zu überleben und so viel wie möglich von dem zu retten, was ihnen lieb und teuer ist, auch wenn sie dabei andere opfern müssen. Dabei entwickelt sich auch die vermeintliche Liebesgeschichte zwischen Mateu und Attila; es ist interessant zu sehen, wie zwiespältig beide damit umgehen und Gefühle sich nach und nach immer mehr verändern.

Zugleich erhält man auch einen interessanten Einblick in den Umgang mit Homosexuellen, HIV und Aids in Rumänien zu dieser Zeit. Denn natürlich wollte man nicht zugeben, dass man die gleichen Probleme damit wie im Westen hat und griff deshalb zu drastischeren Methoden.

Die Entwicklungen werden jedenfalls spannend und vielschichtig erzählt, die wichtigen Figuren sind realistisch dargestellte Menschen mit Ecken und Kanten, die auch Einiges an Fehlern begehen. So ist auch das Ende angemessen und rundet die ganze Sache ab.

„Winterstarre“ konzentriert sich diesmal ganz auf den bereits aus „Steppenfalken“ bekannten Attila Novak und beschreibt eine Zeit der großen Veränderungen, nicht nur für den Securitate-Offizier, sondern auch für ganz Rumänien. Die Gay-Romanze mag zwar zunächst vorhanden sein, wird dann aber durch die Schwierigkeiten ersetzt, mit denen Homosexuelle damals in den späten 80er Jahren durch Aids zu kämpfen hatten. Der Roman ist vielschichtig, bietet neben viel Zeit- und Lokalkolorit auch sehr menschlich-ambivalente aber absolut glaubwürdige Figuren, die einen von Anfang bis Ende mitreißen.