Michael Marrak: Lex Talionis (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 07. April 2022 20:03

Michael Marrak
Lex Talionis
Titelbild: Holger Much
Memoranda, 2022, Paperback, 318 Seiten, 19,90 EUR (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Man nannte ihn einen kognitiven Rekonstrutor, kurz einen Korektor. Als Berater des Morddezernats konnte er manches Mal allein durch die Berührung eines Triggers geistig in die Zeit des Verbrechens zurückreisen und das Mysterium um den Fall ein wenig aufhellen.
Sieben lange Monate ist es her, eigentlich eine kurze Zeit, dass Alexander Crohn zum letzten Mal aktiv an der Verbrechensbekämpfung eingebunden war. Dass er, in Notwehr versteht sich, seinen damaligen Chef erschoss, dabei selbst von einem Teil des Projektils im Kopf getroffen wurde, brachte seine Karriere abrupt zum Stehen.
Jetzt wird er von seiner ehemaligen Lebensgefährtin und Kollegin zu einem neuen Tatort gerufen.
Eine Frau wurde ermordet, blaue Schmetterlinge lösten einen allergischen Schock aus, eine Mitteilung an Crohn findet sich am Tatort. Je weiter Crohn ermittelt, seine Beziehungen spielen lässt, Freunde und Idiots Savants um Hilfe und Aufklärung bittet umso deutlicher wird, dass es der Mörder nicht auf die aufgefundenen Opfer abgesehen hat - Crohn selbst steht im Fokus und sein Jäger ist kein Mensch.
Es gibt einen neuen Roman von Michael Marrak. Das ist per se schon einmal eine gute Nachricht, weiß man als Leser doch, dass mit der Lektüre ein Erlebnis der besonderen Art auf einen wartet. Mehr noch, vorliegender Band ist nur der erste Part eines Zweiteilers. Sprich, es wird zeitnah noch Nachschub geben.
Marrak ist dafür bekannt und geschätzt - diverse Preise legen davon beredt Zeugnis ab -, dass er stilistisch herausragend, inhaltlich innovativ und wunderbar vielseitig zu fabulieren weiß. Seine Kurzgeschichten sind immer voller Überraschungen und eine Lektüre mehr als wert, seine zum Teil umfangreichen Romane bieten phantastische Welten weit abseits des Üblichen.
Vorliegend erwartet uns auf den ersten Blick ein Kriminal-Plot. Wir haben einen Consultant, wie es neudeutsch so schön heißt, der mit seinen Talenten und Beziehungen zu weiteren Medien mittels übernatürlichen Gaben hilft, Kapitalverbrechen aufzuklären. Dabei ist er als Art Gegenentwurf zu den in dem Film „Minority Report“ auftretenden Precogs angelegt – sprich, er sieht über einen Trigger in die Vergangenheit und erblickt den Tathergang aus Sicht des Opfers oder auch des Täters.
Erst im Verlauf des Buchs löst der Verfasser das Rätsel, warum unser Protagonist bei dem Dezernat nicht mehr sonderlich wohl gelitten ist, was zu seiner Verwundung und dem Tod seines früheren Vorgesetzten geführt hat, auf.
So bietet sich das Buch ein wenig zweigeteilt an; zunächst in der Jetztzeit angesiedelt, das neue Verbrechen, das nach und nach Hinweise liefert, dass unser Erzähler selbst im Visier des übernatürlichen Täters steht, dann die Auflösung, was in der Vergangenheit passiert ist.
Der Titel „Lex Talionis“ verweist auf das Biblische Recht auf Vergeltung, es kommen Anemoi, Wesen aus anderen Dimensionen vor, Dämonen, die in die Körper ihrer Opfer schlüpfen und Menschen, die einen besonderen Zugang zu arkanem Wissen haben. Dabei erwartet den Rezipienten durchaus ein düsteres Bild, ein blutiger Tatort, Pathologien und Seziertische - nichts für schwache Gemüter. Dies alles ist überaus klug konstruiert, stilistisch herausragend aufbereitet und spannend.
Michael Marrak verwöhnt uns dabei erneut mit interessanten, gebrochenen Figuren und einer Handlung, die ganz eigen daherkommt. Das ist dicht, das ist intensiv, das mischt Sub-Genres miteinander und bietet etwas Eigenes, etwas Neues - schade nur, dass wir uns bis zum Erscheinen des zweiten Teils noch ein Jahr gedulden müssen.