Robert Kraft: Das zweite Gesicht oder Die Verfolgung rund um die Erde 1 (Buch)

Robert Kraft
Das zweite Gesicht oder Die Verfolgung rund um die Erde 1
Kapitel 1 bis 31
Titelbild: Georg Herrting
Verlag Dieter von Reeken, 2022, Hardcover, 458 Seiten, 30,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Robert Kraft gilt zurecht als einer der ersten Bestseller-Autoren deutscher Zunge. Seine zumeist in diversen Lieferungen erschienen Kolportage-Romane erreichten über die Jahre zigtausende begeisterter Leserinnen und Leser, die Dank seines Einfallsreichtums nicht nur spannend unterhalten wurden, sondern auch, zumindest in ihrer Phantasie, fremde Länder kennenlernen durften.

Dass und wie der Verlag, der Karl May verlegte die Publikationen Krafts für Jahrzehnte unterband, wurde bereits vielfach beschrieben, sonst wäre dem Werk Krafts sicherlich weit größere Aufmerksamkeit zugekommen, als geschehen.

In jüngerer Vergangenheit lege der Benu Verlag die Abenteuer des Detektivs Nobody neu auf, beim Projekt Gutenberg sind die Vestalinnen komplett digital im Neusatz abrufbar, die Edition Braatz & Mayrhofer macht sich um die kürzeren Texte Krafts verdient und Dieter von Reeken publizierte zuerst „Atalanta“ - an dessen Motiven sich Paul A Müller für „Sun Koh“ weidlich bediente - sowie „Loke Klingsor, der Mann mit den Teufelsaugen“.

Nun also legt von Reeken in vier Bänden den ungekürzten Text um „Das zweite Gesicht oder Die Verfolgung rund um die Erde“ im Neusatz mit allen Illustrationen und als Hardcover auf.

Eine Umfrage des Verlegers unter den Interessierten ergab, dass diese statt der preisgünstigeren Paperbacks lieber tiefer in die Taschen greifen und ihren „DvR-Kraft“ komplett als gebundene Ausgabe im Regal stehen haben wollten.


1913 in 46 Lieferungen erstveröffentlicht erwartet den Leser ein typischer Robert Kraft.

Zu Anfang begegnet uns eine psychisch labile, vermögende Mutter, die ihr eigenes Kind verloren hat. Sie hält einen fremden Knaben für ihren Sprössling und bemächtigt sich des Kindes. Dem leiblichen Vater gelingt es mehrfach, seinen ihm geraubten Sohn zu befreien, wobei es zur Bekanntschaft mit einem europäischen Spross aus königlichem Geblüt kommt. Zusammen fliehen sie, werden zunächst von der Milliardärin und einem ehemaligen Priester, der seine ganz eigenen, dunklen Zwecke hegt, verfolgt.

Es gelingt unserem Prinzen sich sowohl des Mediums, wie auch des vermeintlichen Sohnes zu bemächtigen und diese in Ägypten in Sicherheit zu bringen. Dort findet sie der waschechter Bösewicht - eben jener frühere Jesuitenpater mit wahrlich diabolischen Plänen (jetzt weiß ich endlich, woher P. A. Müller seine Schurken genommen hat).

Unser Prinz begegnet Schlangenbeschwörern, dem Alten vom Berg und seinen Assassinnen, die in ihrer Wüstenfestung Baal und andere der alten Götter mit Menschenopfern verehren, einen jungen Flieger, der sich als neuer Messias erweisen könnte und jede Menge Geheimnisse, so dass es an Dramatik und Fährnissen wahrlich nicht mangelt…


Okkultismus mischt sich vorliegend mit rasant aufgezogenen Abenteuern, in denen die Rollen klar verteilt sind. Auf der einen Seite der Prinz, der besagte Sohn und das hellsichtige Kind, auf der anderen der intrigante, zu allen Schandtaten bereite Priester, sowie die psychisch labile Mutter.

Dabei reichen die präsentierten Abenteuer von „Lederstrumpf“-ähnlichen Beschreibungen bis hin zur übernatürlichen Einflüssen, alten Sagen um den Assassinen-Orden, Totenbeschwörungen und immer wieder neuen Gefahren.

Auffallend dabei, dass es anders als bei „Atalanta“ oder „Loke Klingsor“ keinen wirklich durchgängigen roten Faden gibt. Die faszinierend beschrieben Mysterien reihen sich aneinander, wissen den Leser mit ihrer Exotik in ihren Bann zu ziehen. Daneben bemüht sich Kraft, seinen Rezipienten immer auch ein klein wenig Allgemeinbildung und Wissen zu vermitteln.

Hier erwartet uns ein wahres „Leipziger Allerlei“ an Figuren und abenteuerlichen Situationen, es kommt die wunderbar überbrodelnde Phantasie des Verfassers zum Tragen, die von keinerlei Zwängen oder einem Lektorat glattgebügelt wurde.

Allerdings geht dies zu Lasten der inneren Logik. Doch einmal ehrlich, weder seine damalige Leserschaft noch wir heute lesen diese Romane wegen besonders tiefgründigen Aussagen oder vielschichtigen Charakteren. Damals wie heute suchen und finden die Leser hier farbenprächtige Abenteuer in exotischer Kulisse mit echten Schurken, tollen Helden und jeder Menge Spannung.