Das Geheimnis der grünen Stecknadel (BD)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 01. März 2022 11:10

Das Geheimnis der grünen Stecknadel
D/I 1972, Regie: Massimo Dallamano, mit Fabio Testi, Karin Baal, Joachim Fuchsberger u.a.
Rezension von Elmar Huber
Beim Stelldichein im Grünen mit ihrem Lehrer und Liebhaber Enrico Rosseni (Fabio Testi) beobachtet die junge Internatsschülerin Elisabeth (Cristina Galbó) durch die Bäume, wie ein junges Mädchen überfallen und erstochen wird. Rosseni glaubt ihr erst, als später eine Meldung über den Leichenfund in den Nachrichten gesendet wird. Natürlich kann die verstörte Elisabeth nicht als Zeugin aussagen, da sonst das unangemessene Liebesverhältnis ans Licht kommen würde, zumal Rosseni auch verheiratet ist. Als er aus Neugier an den Tatort zurückkehrt, während die Polizei noch die Umgebung untersucht, erscheint er prompt auf einem Zeitungsfoto.
Da auch die Tote eine seiner Schülerinnen war, ist Rosseni für Inspektor Barth (Joachim Fuchsberger) damit der Verdächtige Nummer Eins. Auch wenn Rosseni der Mord nicht nachgewiesen werden kann, bedeutet dies einen handfesten Skandal für die katholische Mädchenschule St. Mary’s.
Derweil findet der echte Mörder heraus, dass Elisabeth eine Zeugin ist und beginnt, sie zu verfolgen. Weitere ihrer Schulkameradinnen werden ermordet, und auch Elisabeth selbst fällt, nachdem sie eine Aussage bei der Polizei gemacht hat, dem Mörder zum Opfer. Rosseni beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und stößt dabei auf ein Mädchen namens Solange, die ebenfalls Schülerin auf St. Mary‘s war, bis sie eines Tages spurlos verschwunden ist.
Mit „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ hat Koch Films wieder ein echtes Schätzchen im Programm, das von den Münchnern in einer mustergültigen Edition veröffentlicht wurde. Es handelt sich um den 37. Edgar-Wallace-Film der Rialto-Reihe, 1972 freilich schon aus der Spätperiode der europäischen Co-Produktionen, wie schon die gemischt-europäische Besetzung zeigt.
Obwohl der Film tatsächlich auf Wallace-Motiven („Das Geheimnis der Stecknadel“) basiert, wurde der Film im Ausland ohne Wallace-Bezug (mit anderem Vorspann und in einer etwa 10 Minuten längeren Version) unter dem internationalen Titel „What Have They Done To Solange?“ vermarktet, der bei Giallo-Fans mit Recht für verklärtes Augenfunkeln sorgt. In dem Box-Set sind beide Film-Versionen enthalten, die damals nicht synchronisierten Teile sind in der internationalen Fassung mit Untertiteln versehen.
Und tatsächlich hat der geneigte Zuschauer hier ein echtes Juwel vor sich, das sowohl mit einer logisch nachvollziehbaren Story- und Ermittlungsentwicklung punktet - nicht gerade selbstverständlich in dem Genre, wo die Handlung oft sprunghaft und verschlungen vorwärtsgeht -, sondern auch mit einer runden Auflösung der Geschichte, die alle Fäden zusammenführt und die Mordserie als Rache-Taten enthüllt. Als geheimnisvolles Element in der Geschichte dient die titelgebende Solange, die erst sehr spät ins Spiel kommt, dann aber noch einmal für ordentlich Suspense sorgt. Ganz großartig die Szene, in der sich Rosseni und die apathische Solange in einem Park begegnen, ohne dass er weiß, wie sie aussieht. Für ihn ist sie in diesem Moment nur irgendein Mädchen.
Der deutsche Filmtitel bezieht sich übrigens auf die grüne Stecknadel, die an der Kleidung des ersten Opfers gefunden wird und die alle Mädchen der Clique, auch Solange, getragen haben.
Als Verbindung zur ‚ursprünglichen‘ Wallace-Reihe dienen die Wallace-Stammschauspieler Joachim Fuchsberger, Karin Baal als Enrico Rossenis Ehefrau und Günther Stoll als Solanges Vater, Professor Bawcombe. Puritanische Fans der alten Schwarzweiß-Schinken werden wohl trotzdem ihre Nasen rümpfen, denn weder gibt es hier ein Comedy-Element noch einen Bösewicht in merkwürdiger Verkleidung.
Stellenweise ist „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ sogar ziemlich (sexistisch) brutal geraten, wie es der Zeitgeist damals eben vorgab. In einer Szene präsentiert der Inspektor den Eltern des Opfers ein Röntgenbild, auf dem das nicht gerade kurze Messer im Unterleib ihrer Tochter zu sehen ist. Pietät geht eindeutig anders. Wahrscheinlich auch ein Grund, warum sich „Blacky“ Fuchsberger gar nicht mehr so genau an die Produktion erinnern konnte/wollte.
Dies nur ein Bonmot der großartigen einstündigen ARTE-Doku „German Grusel“, die ebenfalls im Bonusmaterial der Box enthalten ist. Unter anderem erinnern sich dort auch Karin Baal und Oliver Kalkofe an ihre ‚Wallace-Momente‘; außerdem werden die Reihe und ihre Konkurrenzprodukte allgemein beleuchtet. Sehr sehenswert!
Auch produktionstechnisch wird Einiges geboten, so konnte der Streifen nämlich im Anschluss an eine andere Produktion direkt in London gedreht werden, wo der Film auch spielt. Solcherlei wird ebenfalls im umfangreichen Bonusmaterial der Box verraten.
Mit Massimo Dallamano hatte man auch einen Regisseur an Bord, der meist mehr als Routine geliefert und noch einige weitere Highlights vorzuweisen hat („Venus im Pelz“, „Das Bildnis des Dorian Gray“, „Der Tod trägt schwarzes Leder“, „Kaliber 38“). Als Kameramann wirkte Aristide Massaccesi, besser bekannt unter seinem Regie-Pseudonym Joe d’Amato. Der Name Enrico Morricone als Komponist der Filmmusik spricht ebenfalls für sich.
Wie schon bei „Spuren auf dem Mond“ hat Koch Films ein großartiges Paket abgeliefert, und Besitzer der alten Universum-Veröffentlichung können noch einmal bedenkenlos zugreifen, Giallo-Fans sowieso. Auch die Covergestaltung ist Koch-typisch wieder relativ simpel, aber sehr kunst- und wirkungsvoll.
„Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ ist eine mustergültige Veröffentlichung eines ausnehmend gelungenen Giallos beziehungsweise Spät-Edgar Wallace‘.