Jutta Wölk: Die Schuld der Väter: Ausgeliefert (Buch)

Jutta Wölk
Die Schuld der Väter: Ausgeliefert
Titelbild: Azrael ap Cwanderay
Hammer Boox, 2019, eBook, 3,99 EUR (auch als Taschenbuch erhältlich)

Rezension von Elmar Huber

„Ich drehte mich langsam um die eigene Achse und blickte auf die dicken Baumstämme und das eng beieinanderstehende Unterholz. Es wirkte so dicht, dass ich mich davor ängstigte. Ich hatte das Gefühl, als rückten die Stämme, Zweige und Äste von allen Seiten näher und versuchten, mich einzuschließen. Ein Schauer lief mir über den Rücken, und meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich mir vorstellte, nie wieder aus diesem Wald herauszufinden.“

Nachdem sie ihre Tochter bei einem Verkehrsunfall verloren haben, wagen Christine und Stefan nach einigen entbehrungsreichen Jahren einen Neuanfang auf dem Land. Stefan würde bald eine Stelle in der Nähe bekommen, und die Distanziertheit der alteingesessenen Bewohner von Oltendorf würde sich ebenfalls legen, so Christines Blick in die Zukunft.

Bei einem ihrer Spaziergänge mit Hündin Gina gerät Christine in ein dichtbewachsenes Wäldchen, das offenbar von Spaziergängern und auch von Tieren gemieden wird. Je tiefer sie in den wilden Hain eindringt, desto stärker erfasst sie ein unerklärliches Gefühl der Bedrohung, das sich zur Panik steigert, als sie die Schreie eines Babys vernimmt und auf einem Erdhügel eine dort abgelegte Rose findet.

Bei den Dorfbewohnern stößt Christine auf eine Mauer des Schweigens, sobald sie die Sprache auf dieses Wäldchen bringt. Nur Graf von Dorgen wird immer wieder erwähnt, ein Adliger, dem das Waldstück gehört und der wenig von Spaziergängern auf seinem Land hält.

Nur eine geheimnisvolle Alte, die sich als Helga vorstellt, ist bereit, sich mit Christine zu unterhalten. Vor ihr erfährt sie, was vor Jahrzehnten im Schloss des Grafen passiert ist und wie dies mit Christines Entdeckung, ihren Alpträumen und mit Helga selbst zusammenhängt.

„Das Geschrei eines Babys ließ mich zusammenzucken. Weiteres Gebrüll kam hinzu sowie ein herzzerreißendes Wehklagen, das nicht nach einem Kind, sondern nach einem Erwachsenen klang. Allerdings sah ich weder Neugeborene noch einen Erwachsenen. Es wurde ohrenbetäubend schrill, und ich presste mir die Handflächen gegen die Ohren. Dabei drehte ich mich im Kreis und entdeckte auf allen, bis auf dem größten der sieben Hügel, kreischende Säuglinge.“


Fast zeitgleich zu dieser neu lektorierten Auflage von „Rote Rosen“ im Verlag Hammer Boox ging auch Jutta Wölks wenig zimperlicher Roman „Moonshine Games“ bei den Kollegen von Redrum an den Start. Der Kontrast könnte wohl kaum größer sein.

„Die Schuld der Väter: Ausgeliefert“ bietet einen leicht märchenhaften Mystery-Plot, der bekannte Genre-Versatzstücke benutzt. Die Geschichte beginnt ziemlich verhalten, schafft es aber im weiteren Verlauf der Handlung, immer stärker zu fesseln.

Je mehr Christine über das geheimnisvolle Waldstück und über die Ereignisse der Vergangenheit (nicht) erfährt, desto mehr wird ihre und auch die Neugier des Lesers angestachelt. Und obwohl es immer deutlicher wird, dass die Ereignisse, die hinter dem verwunschenen Forst und den geheimnisvollen Erdhügeln stehen, mehr als unschön zu nennen sind, kann man nicht anders, als gebannt weiterzulesen. Die stetig aufgebaute Spannung entlädt sich schließlich in einem kakofonischen Albtraum Christines, der mit einigen Ekelspitzen garniert ist. Man wagt es zu diesem Zeitpunkt kaum zu hoffen, doch tatsächlich findet Jutta Wölk schließlich noch ein versöhnliches Ende.

Insgesamt ist „Die Schuld der Väter: Ausgeliefert“ ein fesselndes Mystery-Garn, das sich beständig steigert und im Finale die ohnehin unscharfe Genre-Grenze zum Horror übertritt.