Mary Robinette Kowal: Die Berechnung der Sterne (Buch)

Mary Robinette Kowal
Die Berechnung der Sterne
(The Calculating Stars, 2018)
Übersetzung: Judith C. Vogt
Piper, 2021, Paperback, 506 Seiten, 18,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Schon auf der Cover-Werbung wird hier der Bezug zu dem wunderbaren Film „Hidden Figures- Unerkannte Heldinnen“ hergestellt, was durchaus die eine Berechtigung hat, dass Zuschauer, die den Film mochten, sicherlich auch mit Kowals Buch etwas anfangen können (und hier inhaltlich viele Parallelen finden werden).

Zudem hat die Autorin für ihr Werk die bekanntesten SF-Preise abgesahnt, nämlich den Hugo Award (vergeben von den Lesern), den Nebula Award (vergeben von den SF-Schriftsteller-Kollegen in den USA) und den Locus Award (vergeben von den Lesern des großen SF-Magazins). Eine hohe Bürde also für den Leser, denn wie könnte man ein dermaßen dekoriertes Werk wohl ablehnen?

Aber zur Beruhigung aller SF-Leser: Es gibt kaum einen Grund, das Buch wirklich abzulehnen. Denn Kowal macht eigentlich alles richtig, denn sie griff zum richtigen Zeitpunkt wichtige Themen auf (Gleichberechtigung sowohl beim Geschlecht als auch bei der Hautfarbe) und erzählt dann mit viel Geschick und Verve die Geschichte einer Alternativwelt, in der die Menschheit scheinbar etwas weniger „vernagelt“ ist.


Denn nicht nur, dass der Sputnik-Schock in den USA ausblieb (denn durch einen anderen Präsidenten - Dewey gewann gegen Truman und förderte die Raumfahrt massiv). Die USA gewannen sogar den Wettlauf ins All bis hin zur Mondlandung (also: erster Satellit, erstes Lebewesen im All, erster Mensch, erster Weltraumspaziergang etc.), auch weil sie Frauen und dann sogar People of Color an ihrem Programm beteiligten.

Und als dann 1952 der gewaltige Meteorit Washington trifft und Millionen tötet (hier beginnt die erzählte Geschichte), erweist es sich, dass die US-amerikanischen Raumfahrt-Anstrengungen notwendig sind, auch die Kooperation mit allen anderen Nationen, inklusive der Sowjets und der Chinesen.

Denn der Meteorit wird, nach einer kurzen Kälteperiode, auf jeden Fall für eine kräftige und äußerst bedrohliche Klima-Erwärmung auf der Erde sorgen. Deshalb wird es notwendig werden, zur Absicherung der Menschheit, Kolonien außerhalb der Erde zu errichten. Eine Erkenntnis, die in dieser Alternativwelt anscheinend leichter akzeptiert wird.

Erzählt wird die ganze Geschichte aus der Sicht der jungen Dr. Elma York, die nicht nur eine begnadete Mathematikerin ist, sondern auch eine begeisterte Pilotin (und auch noch Jüdin, die auch mit diesbezüglichen Vorurteilen immer wieder zu kämpfen hat!). Ihr Wille ist es, selbst ins All zu reisen. Sie findet jedoch diesen Weg erst einmal durch männliche Ignoranz verschlossen. Um Frauen „zu schützen“, sollen sie die gefährlichen Aufgaben nicht übernehmen dürfen. Auch aus Angst vor schlechter Publicity, sollte einmal etwas schief gehen, schließt man die Frauen aus, nur um bald zu begreifen, dass diese Weigerung der Raumfahrtbehörde (hier, in der Alternativwelt, heißt sie IAC, also International Aerospace Coalition), Frauen und auch Schwarze zu beteiligen, nach hinten losgeht.

Und so sorgen Elma und ihre Kolleginnen, die teilweise schon im Zweiten Weltkrieg Flugzeuge geflogen haben, bald dafür, dass die öffentliche Meinung kippt, denn plötzlich wollen alle kleinen Mädchen nicht mehr brave Ehefrau werden, sondern Raumfahrerin...


Dabei gelingt der Autorin der Kunstgriff, ihre „starke“ Protagonistin zu einem menschlichen Wesen mit deutlichen Schwächen zu machen, leidet Dr. York doch an ausgesprochener Sozialangst und kotzt sich oft vor und nach öffentlichen Auftritten die Seele aus dem Leib.

Doch genauso wie die Menschheit in dieser Alternativwelt vernünftiger und weiser ist als in unserer Realität, sind auch hier die Kollegen verständiger und toleranter. So erhält die Protagonistin nicht nur von ihrem Ehemann, der die Flüge als Ingenieur leitet, Unterstützung, sondern auch von den Kolleginnen und sogar von den männlichen Kollegen unter den Raumfahrern.

Man muss dieses Buch einfach lieben, denn das hier heraufbeschworene Menschenbild ist dermaßen positiv und erquickend, dass man sich ihm gar nicht verschließen kann. Auch dass Kowal weniger auf die Klimawandel-Leugner oder andere Ewiggestrige eingeht, ist sehr wohltuend, da sie hier einfach den fortschrittlichen, toleranten Menschen die Aufmerksamkeit widmet.

Auch wenn die Geschichte nicht bis in jede kleinste Ecke realistisch wirkt, so ist Kowal doch eine berührende und mitreißenden Erzählung geglückt, die völlig zu recht all die bedeutenden Preise verliehen bekommen hat.

Auf eine angekündigte Fortsetzung (im Original bereits erschienen) darf man gespannt sein, denn diese wunderbare Geschichte lesen zu dürfen, war (gemessen an dem, was in Deutschland an SF publiziert wird) ein absolutes Privileg und ein seltener Hochgenuss.