Georg Haderer: Seht ihr es nicht? (Buch)

Georg Haderer
Seht ihr es nicht?
Haymon, 2021, Hardcover, 336 Seiten, 24,90 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Christel Scheja

Der 1973 geborene Georg Haderer hat ein bewegtes Leben hinter sich, denn nach einer Schuhmacherlehre ging er in die Werbe-Branche und arbeitete später auch als Lehrer. Zudem liest und schreibt er mit Leidenschaft, so entstanden bereits sechs Romane um Major Schäfer und seine Fälle. Nun ist eine Ermittlerin an der Reihe, die aber auch ein wenig spezieller ist, so wie ihr Name - Philomena Schimmer“ -, die sich die Frage stellen muss: „Seht ihr es nicht?“


Philomena Schimmer arbeitet nach einem Vorfall, der sie traumatisiert hat, jetzt in einer Sondereinheit, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, vermisste Personen wiederzufinden. Diesmal ist es die 13jährige Tochter einer Wissenschaftlerin. Karina ist die einzige Überlebende eines Massakers, dem die anderen vier Mitglieder ihrer Familie zum Opfer gefallen sind.

Das Motiv für den Mehrfachmord ist genauso schwammig wie das Projekt, an dem die Wissenschaftlerin zuletzt gearbeitet hat. Und das liegt nicht nur daran, dass die Verantwortlichen mauern.

Die Ermittlerin wird das Gefühl nicht los, dass auch sie sich mehr und mehr ihren eigenen Ängsten stellen muss, wenn sie das Kind gesund und lebend wiederfinden will. Auch und gerade, weil sie eine ganz eigene Art hat, um die Wahrheit herauszufinden.


Was macht das Besondere an der Geschichte aus? Sie nimmt sich sehr viel Zeit, um die neue Hauptfigur und ihr Umfeld vorzustellen - der Fall erscheint erst einmal nebensächlich. Dabei spielen nicht nur Beziehungsgeflechte eine Rolle, sondern auch Ängste. Die nehmen einen etwas größeren Raum ein, als dem einen oder anderen Krimi-Fan vielleicht lieb sein dürfte, denn der Autor setzt sehr auf das Innenleben und die Beziehungsgeflechte seiner Figuren.

Da ist zum einen die Ermittlerin, die anfangs recht sperrig und arrogant wirkt und erst nach und nach ihre verletzlichen Sachen prei gibt, und zum anderen natürlich auch die vielen Geheimnisse, die sich um die ermordeten Familienmitglieder, speziell um die Wissenschaftlerin, ranken und anfangs nur undurchsichtig sind.

Aber nach und nach schält sich dann doch der rote Faden heraus, Zusammenhänge werden klar und auch die Figuren vertrauter und sympathischer. Der Autor nutzt weniger einen actionreichen als einen psychologischen Ansatz bei seinen Schilderungen, erklärt sehr viel und reichlich.

Alles in allem bleibt die Geschichte dadurch eher behäbig, ist nicht so spannend, wie sie sein könnte, richtet sich aber an die Leser, die auch einen tiefen Einblick in das Innenleben der Ermittlerin schätzen und welche Auswirkungen ein Fall auf sie haben kann. Wer mehr Konzentration auf den eigentlichen Fall als die Aufklärung der persönlichen Befindlichkeiten der Hauptfigur vorzieht, der wird vermutlich weniger Spaß an der Geschichte haben.

So gesehen ist „Seht ihr es nicht?“ einer der Kriminalromane, die in erster Linie auf eine genaue CharakterZeichnung der Hauptfiguren und komplexe Zusammenhänge setzen und dabei das eigentliche Verbrechen ein wenig in den Hintergrund stellen. Zwar wird der Fall zufriedenstellend gelöst, aber vermutlich nicht so spannend, wie es sich mancher Leser erhofft.