Christoph Hardebusch: Die Stadt der Seher (Buch)

Christoph Hardebusch
Die Stadt der Seher
Titelbild: Birgit Gitschier
Hobbit Presse, 2021, Hardcover, 440 Seiten, 24,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Wissen Sie, was Hunger mit einem Menschen macht? Nein? Seien Sie glücklich und lobpreisen Sie Ihren Herren: Der sechzehnjährige Waisenjunge Marco weiß leider nur zu genau, wie sich nagender, quälender Hunger in den Eingeweiden anfühlt. Mies, richtig schlecht, ein Gefühl, das er viel zu oft in seinem jungen Leben schon hat erleiden müssen.

In dem reichen Stadtstaat Vastona gibt es viele vom Glück nicht eben gesegnete Menschen. Menschen, die von der Hand in den Mund leben, Arme, die angesichts der Verschwendung, der Völlerei der da oben kaum an sich halten können.

Und es gibt die Bürgerwache - skrupellose Männer, die nach Ungeziefer, also solches auf zwei Beinen, Ausschau halten. Erwischen sie einen Dieb, dann geht es ab in die Luzia, ein altes, sehr schönes dreistöckiges Haus mit einem tiefen Keller. Aus dem kommt der Abschaum, wie sie ihre Opfer nennen, nur mehr entweder mit den Füßen voraus wieder ans Tageslicht, oder aber wenn sie in Ketten in die Steinbrüche der Stadt wandern.

Als Marco bei einem Mundraub erwischt wird, weiß er, dass sein Leben keinen Heller mehr wert ist. Doch dann, im dunklen Verlies nur mit einigen Ratten zur Gesellschaft eingekerkert, bekommt er Besuch. Ein Bruder des angesehensten Ordens der Stadt, dem der Seher, befreit ihn und sorgt für einen Platz im Palazzo der Vereinigung. Essen, ein Dach über dem Kopf, das erste Mal, dass er sich daran erinnern kann ein Bad - doch er weiß, niemand, absolut niemand tut etwas ohne Hintergedanken. Was wird der Orden von ihm als Gegenleistung erwarten?

Als er Elena, eine Manufaktur-Arbeiterin und einen etwas dubiosen Erfinder kennenlernt, bringt ihn dies auf ganz andere Gedanken, als sich um die Rätsel seines Ordens zu kümmern.

Dass ein gewaltiges Heer gen Stadt zieht, um die Mauern zu schleifen, von denen man sagt, sie seien unzerstörbar, sorgt für weitere Dramatik.

Während sich ein Meuchelmörder und das Heer des Schwarzen, eines versierten Eroberers, der Stadt nähern, versuchen sich Marco, der als Seher eigentlich die Stadt retten sollte, und seine Freunde als Erfinder…


Christian Hardebusch ist mir als Fantasy-Autor ein Begriff, der in den Zeiten, da die Völker-Romane angesagt waren, bei Heyne mehrere entsprechende Werke rund um die Trolle sowie eine weitere Serie, in der er Piraten mit Fantasy kombinierte, vorlegte. Beide Reihen behielt ich als spannend und flüssig zu lesen im Kopf. Später durfte er bei der von Markus Heitz initiierten Serie „Justifiers“ einen Ausflug in die SF unternehmen. Nun also sein erster Einzelroman bei der Hobbit Presse.

Der Verlag und Birgit Gitschier haben sich erfolgreich bemüht, den potentiellen Käufer mittels einer interessanten Cover-Abbildung auf das Buch aufmerksam zu machen.

Die Grund-Thematik: ein Renaissance-ähnlicher Stadtstaat, der von außen bedroht wird, in der Stadt ein junger, vom Schicksal nicht eben auf Rosen gebetteter entwicklungsfähiger Erzähler, über den wir die Hintergründe und Machtzentren sowie Geheimnisse erfahren - so sieht es zumindest zu Beginn aus.

Wie angedeutet, die Bühne auf die der Autor uns seine Handlung kredenzt bietet jede Menge Potential, Anknüpfungspunkte satt, nur, dass Hardebusch hier irgendwie dann doch sich nicht entscheiden kann. Will er uns die Geschichte der Belagerung und Eroberung Vastonas erzählen, oder doch lieber die Geheimnisse des Ordens aufdecken? Uns mit dem Schicksal des Erfinders verblüffen, von einer Ära berichten, in der die Erkenntnisse der Wissenschaft den Glauben ablösen, vielleicht gar eine Romanze andeuten?

Vieles, eigentlich alles wäre möglich – allein: keine dieser Möglichkeiten wird wirklich richtig genutzt. Die Figuren sind recht flach beschrieben, der Plot wird durch die vielen, in diesen hineinverwobenen Ideen und das Setting beherrscht. Hinzu kommt, dass das zu Beginn sehr behäbige Tempo zum Finale hin plötzlich massiv anzieht, ja überhastet wirkt.

Insgesamt gesehen ist „Die Stadt der Seher“ ein Buch, das vor Potential strotzt, das diese Chancen aber leider nicht aufgreift und ein wenig unzusammenhängend mehrere Geschichten parallel zueinander erzählt, diese aber nicht zu einem sinnvollen Ganzen verbindet.