Keigo Higashino: Kleine Wunder um Mitternacht (Buch)

Keigo Higashino
Kleine Wunder um Mitternacht
(Namiya zakkaten no kiseki, 2014)
Übersetzung aus dem Japanischen („The Miracles of the Namiya General Store“): Sam Bett, Übersetzung aus dem Englischen: Astrid Finke
Limes, 2021, Hardcover, 416 Seiten, 20,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Karl E. Aulbach

Manchmal hat man Glück und erwischt wirklich viele gute Bücher, die das Lesen zu einer Freude machen. Zu den Besten gehört Keigo Higashinos Roman „Kleine Wunder um Mitternacht“. Keigo Higashino ist im gleichen Alter wie der Rezensent, also um die 60, wurde in Osaka geboren. Nach dem Studium und einer Tätigkeit als Ingenieur begann er, mit sensationellem Erfolg Kriminalromane zu schreiben. Dem einen oder anderen Krimi-Fan dürften seine Romane um den Physikprofessor Yukawa bekannt sein, die alleine im deutschen Sprachraum in sechsstelliger Zahl verkauft wurden. Der Brückenschlag zur Phantastik in „Kleine Wunder um Mitternacht“ ist denn auch eher zufällig. 

Ohne das Stilmittel einer Art Zeitportal hätte der Roman schlicht nicht funktionieren können. Das ist aber beileibe nicht die wesentliche Essenz des Werks. 

 

Die Grundsituation ist die, dass drei jugendliche Einbrecher in einem leerstehenden Geschäft Unterschlupf für eine Nacht suchen. Dabei entdecken sie eher zufällig die Geschichte des früheren Ladenbesitzers Yuji Namiya, der nach dem Tod seiner Frau einen Lebenssinn darin gefunden hatte, den Menschen über eine Art stille Post kluge Ratschläge zu erteilen.

Das Ganze begann eher als Spaß, bis die Leute merkten, dass er auch die unsinnigste Anfrage ernsthaft beantwortete. Danach kamen dann so bemerkenswerte Anfragen, wie die einer Frau deren Freund im Sterben lag, und sie bat, nicht bei ihm zu bleiben, wie sie es wollte, sondern weiter für die Olympischen Spiele zu trainieren.

Zum Ende seines Lebens begann Namiya zu zweifeln, ob seine Ratschläge immer gut gewesen seien und bat in seinem Vermächtnis darum, dass seine anonymen Fragesteller in seiner Sterbenacht 33 Jahre nach seinem Tod durch Briefeinwurf an der üblichen Stelle für die stille Post berichten sollten, ob seine Ratschläge gut waren.


Das Buch stellt nun etliche Schicksale dieser Fragesteller in einer die Zeit übergreifenden Geschichte vor. Das ist so faszinierend gemacht, dass man beim Lesen die Zeit vergisst. Mehr zu verraten, hieße, dem Leser die Entdeckung dieser wundersamen Geschichten zu verderben, die sich ungemein grandios entwickeln und emotional sehr anrührend sind.

Meisterhaft ist, wie der Autor feine Spinnenfäden webt, die die Figuren, die auf den ersten Blick überhaupt keine Verbindung zueinander haben, in ein großes Gesamtbild einweben. Das ist so gelungen gemacht, dass man als Leser nur staunen kann, wie sich immer mehr Zusammenhänge entwickeln, die man zu keiner Zeit erwartet, und die er am Schluss zu einer vollkommenen Blüte verbindet.

Verraten will man noch, dass auch Namiya zu Lebzeiten durch wundersame Weise erfahren hat, dass seine Ratschläge, auch wenn sie nicht immer befolgt wurden, zu guten Ergebnissen geführt haben. Als Essenz bleibt, dass ein guter Rat niemals vergebens ist, zwingt er doch den Fragesteller, sich selbst damit auseinanderzusetzen und in sich die Lösung, die oft unbewusst schon gereift ist, zu entdecken.

„Kleine Wunder um Mitternacht“ ist ein Buch, wie man es inhaltlich wahrscheinlich noch niemals gelesen hat. Darum gibt es dafür eine ganz, ganz große Empfehlung.