Arthur Machen: Der große Pan (Buch)

Arthur Machen
Der große Pan
Übersetzung: Joachim Kalka
Elfenbein, 2021, Hardcover, 176 Seiten, 22,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Arthur Machen gehört zu den - zumindest im deutschen Sprachraum - „vernachlässigten“ Autoren der klassischen Phantastik. Einzelne Bücher von ihm erschienen in der „Bibliothek von Babel“ (Edition Weitbrecht), bei Suhrkamp und JMB sowie, 1993/1994 publiziert, eine sechsteilige Werksausgabe bei Piper, die als Grundlage für diese (um bislang unveröffentlichte Texte (weitere Kurzgeschichten)) erweiterte Edition, dient. Mit dem für Herbst in Vorbereitung befindlichen letzten Band wird diese Neuedition dann abgeschlossen werden, gegebenenfalls folgt noch ein Supplementband.

Joachim Kalka steuert neben den Übersetzungen der bislang unveröffentlichten Texte noch jeweils ein informatives Nachwort bei, das die Erzählungen einordnet und uns den Verfasser näher bringt.

Äußerlich kommt uns die Ausgabe des Elfenbein Verlags, für die es die Gesamtausgabe mit Subskriptionsrabatt gibt, weiterhin mustergültig daher. Das kleinoktave Format liegt angenehm in der Hand, der Druck wie das Lektorat sind sorgfältig, die Titelillustration stimmig, Fadenheftung und Lesebändchen erfreuen des bibliophilen Lesers Herz.


Mit dem vorliegenden fünften Band erscheint die wohl berühmteste Novelle des Briten, „Der Große Pan“ und das mit diesem verbundene „Das innerste Licht“. Von Bram Stoker über H. P. Lovecraft bis hin zu Stephen King reicht die Palette der Verfasser, die den Kurzroman als wegweisend für ihr eigenes Schaffen eingeordnet haben und die literarischen Qualität des Textes lobten.

Wie wir dies vom gebürtigen Waliser Arthur Machen kennen, hat er auch diese Erzählung auf ein antikes Fundament gestellt.

Die verschiedenen, den Text bildenden Erzählungen beginnen damit, dass ein britischer Gentleman, Mr. Clarke, der sich für das Okkulte interessiert, einem Experiment beiwohnt. Dr. Raymond hat seit Jahren das menschliche Gehirn erforscht und nimmt an der siebzehnjährigen Probandin Mary eine entsprechende Operation vor, die, so sie gelingt, den Zugang zu geistigen Dimensionen öffnen soll. Die Operation selbst ist erfolgreich, doch die Testperson verfällt angesichts dessen, was sie danach erblickt, dem Wahnsinn.

Jahre später trifft Clarke auf einen Kommilitonen, der verarmt und depressiv vor sich hin vegetiert. Eine mysteriöse Frau hat ihn um sein Vermögen und seine Zukunft gebracht. Kurz darauf bringt der Mann sich um. Eine Selbstmordwelle erschüttert kurz danach die Stadt - Männer aus der besten Gesellschaft erhängen sich… immer scheint eine mysteriöse Frau im Umfeld aufzutauchen. Als Clarke eine Zeichnung der Unbekannten in die Hände bekommt, ist er zutiefst erschrocken - kennt er das Gesicht doch.


Wer des Lateinischen mächtig ist, dem hat Arthur Machen einen deutlichen Hinweis darauf gegeben, um was es in seinen verbundenen Novellen geht: „Der Teufel nahm Gestalt an. Der Teufel ist Mensch geworden.“

Bezeichnend, dass der Teufel in weiblicher Gestalt die Mächtigen heimsucht, dass er sie (angedeutet) verführt und in ihr Unglück stürzt. Hier wird der Zeitgeist der viktorianischen Gesellschaft, der die Frau auf die Mutterrolle reduziert und Sexualität verdammt, deutlich. Immer wieder wird die Verführung der Männer durch die Femme fatale angedeutet, der Voyeurismus endet aber regelmäßig an der Haustür, durch die die Opfer ihre Nemesis betreten. Die geschlossenen Türen dienen hier als Allegorismus für die Angst vor dem Unbekannten (auch vor dem unbekannten Wesen der Frau), vor Wissen und vor Veränderung. Kaum eine Gesellschaft war so statisch wie die viktorianische - und dies erstaunlicherweise mit einer Königin, ergo einer Frau an der Spitze der Machtpyramide!

Verpackt hat Machen diese Botschaft in einer Gruselgeschichte, die, gerade weil das Übernatürliche, das Erschreckend nur angedeutet wird, umso mehr wirkt. Der Leser sieht die Auswirkungen der Heimsuchungen anhand der Opfer, die am Seil baumelnd aufgefunden werden; was dazu geführt hat, bleibt der eigenen Phantasie überlassen. Nie ist der Fokus wirklich auf das Übernatürliche gerichtet, stattdessen präsentiert uns Machen ein Mosaik aus Briefen, Berichten und Andeutungen, die uns zu dem gewünschten Schluss führen.


Die wunderbar stimmige, stilistisch herausragende Übersetzung von Joachim Kalka sei hier noch einmal besonders erwähnt, das Buch jedem ernsthaften Interessenten für die dunkle Literatur wärmstens ans Herz gelegt.