Jane Isaac: The Other Woman - Im Netz der Lügen (Buch)

Jane Isaac
The Other Woman - Im Netz der Lügen
DC Beth Chamberlain 1
(After He’s Gone, 2018 (The Other Woman, Neuveröffentlichung), 2020)
Übersetzung: Anja Samstag
dp Verlag, 2020, eBook, 5,99 EUR

Rezension von Elmar Huber

„Beth machte sich noch einige Notizen, wartete darauf, dass der Raum sich leerte, und ging dann nach vorne zum Board, um sich die Fotos genauer anzusehen. Der Leichnam lag auf dem Rücken, den Kopf nach rechts verdreht, knapp einen Meter von der Bordsteinkante entfernt. Sie wischte weiter zu den Fotos, die aufgenommen wurden, nachdem der Körper bewegt wurde. In der blutigen Masse konnte sie die Schusswunde am Kopf ausmachen, wo zuvor ein Auge gewesen war.“

DC Beth Chamberlain wird an einem Sonntagmorgen an den Tatort eines kaltblütigen Mordes gerufen. Vermögensverwalter Cameron Swift wurde in der Auffahrt seines Hauses aus nächster Nähe von einem Motorradfahrer erschossen. Dem ersten Anschein nach war der Tote ein guter Familienvater, der wenig über seine Arbeit gesprochen und seinen Geschäftskalender mehr schlecht als recht geführt hat. Ohne eine heiße Spur beschränken sich die Ermittlungen zunächst auf die Ehefrau und die Geschäftsverbindungen des Opfers.

Die Lage ändert sich dramatisch, als sich eine Sara Swift aus ihrem Urlaub meldet, die in den Nachrichten von der Ermordung ihres Mannes Cameron gehört hat.

„Der Tathergang deutete darauf hin, dass der Mörder wusste, wo Cameron lebte, und seine Gewohnheiten kannte, was dafür sprach, dass er ihm nahegestanden hatte. Doch der Entschluss, ihn in aller Öffentlichkeit anzugreifen und die Nachricht von seinem Tod so zu verbreiten, verwirrte sie. Sie versuchte sich in den Täter und seine Denkweise hineinzuversetzen. Es reichte nicht, Cameron Swift umzubringen, sondern die bleibende Erinnerung sollte in den Dreck gezogen werden. Wieso nur?“


Als Opferschutzbeamtin ist Beth Chamberlain das Bindeglied zwischen den Beteiligten einer Straftat und den Ermittlern. In dieser Rolle sind Geduld, Empathie und Fingerspitzengefühl gefragt. Fähigkeiten, die sich die Ermittler an der Front oft nicht leisten können. Dennoch sind gerade die Feinheiten in Gestik, Mimik und Verhalten von Zeugen und Verdächtigen nicht zu unterschätzende Bausteine in der Wahrheitsfindung. Mit ihren sensiblen Antennen ist Beth in der Lage, diese leisen, Zwischen- oder Misstöne wahrzunehmen, die Anzeichen für Unwahrheiten sind.

Jane Issac verbindet Beths Verdachtsmomente geschickt mit den ‚handfesten‘ Informationen ihrer Kollegen, die mittels klassischer Ermittlungsarbeit ans Licht kommen. Mit Camerons Verwicklung in illegale Geldgeschäfte und daraus resultierender Schulden als Grund für den Mord gibt sich Beth allerdings nicht zufrieden. Ihr Gefühl sagt ihr, dass das Mordmotiv in seinem Doppelleben und den damit verbundenen Geheimnissen zu suchen ist.

Der Roman entwickelt sich unaufgeregt, behält jedoch durchgehend eine gewisse Grundspannung. Autorin Jane Isaac legt, durchaus genreüblich, einige falsche Fährten und lässt ihre Ermittlerin stellenweise ‚auf eigene Kappe‘ und an der Grenze der Legalität agieren. Es herrscht zudem eine angenehme Balance zwischen Ermittlung und Privatleben der Figuren. Alles nicht außergewöhnlich, aber durchweg kurzweilig, sympathisch und ohne unnötige Effekthascherei.

In Originalsprache sind derzeit noch zwei weitere Romane mit Beth Chamberlain verfügbar, die diesem gern folgen dürfen.

Das Cover ist mit dem Motiv der beiden überblendeten Frauengesichter sehr passend umgesetzt; die ähnlich gewählte Titel-Typografie stellt den Roman in die Nähe der Romane von Gillian Flynn („Gone Girl“).

„The Other Woman - Im Netz der Lügen“ ist ein sehr gut zu lesender Thriller, bei dem einmal eine ‚Nebendisziplin‘ der Ermittlungsarbeit in den Fokus gerückt wird.