Rainer Schorm & Jörg Weigand (Hstg.): Zweitausendvierundachtzig - Orwells Alptraum (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 23. Juni 2020 20:14

Rainer Schorm & Jörg Weigand (Hstg.)
Zweitausendvierundachtzig - Orwells Alptraum
AndroSF 107
Titelbild: Rainer Schorm
p.machinery, 2020, Paperback, 430 Seiten, 17,90 EUR, ISBN 978-3-95765-171-6 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Wir leben schon in einer interessanten Zeit. In einer Zeit, da ein Virus das gesellschaftliche Leben fast komplett zum Stillstand bringen kann, in der Menschen auf der ganzen Welt ihre über Jahrhunderte mühsam erkämpften Freiheits- und Grundrechte einfach so aufgeben. Eine App wird propagiert, die die Verfolgbarkeit des Individuums gewährleisten soll - und kein Aufschrei der Datenschützer, kein Proteststurm der freiheitsliebenden Politiker - stattdessen der dringende Appell, das kleine Programm doch ja bitte zu installieren.
Einer Zeit, in der die Versammlungsfreiheit und das Recht zu Demonstrieren massiv eingeschränkt wurde - auch hier: erstaunlich wenig Proteste!
Das kannte man aus eher totalitären Regimes, so etwas gibt es in den modernen westlichen Demokratien doch nicht! Unvorstellbar - bis zum Virus.
Der Shutdown war, soweit ich das als Laie nachvollziehen kann, sinnvoll, allein es geht darum, dass hier nicht Entwicklungen begonnen werden, die dann zukünftig ein Eigenleben entwickeln. Ist die Büchse der Pandora erst einmal geöffnet, wird es schwierig diese wieder zu schließen.
Doch warum klage ich, haben wir doch alle so nützliche kleine Programme wie Facebook, Amazon oder WhatsApp auf dem Handy. Die Konzerne wissen dadurch alles von uns. Wo wird sind, mit wem wir uns austauschen, unsere Hobbys, unsere Überzeugungen, was wir einkaufen, mit wem wir uns treffen, wo wir in den Urlaub hinfahren.
Ich habe ja nichts zu verbergen, heißt es da immer so schön - doch die Versicherungen interessiert es zum Beispiel sehr, ob wir viel Alkohol oder Zigaretten einkaufen, oder zu welchem Doktor wir gehen. Bekommen sie mit, dass ein Antragsteller beim Psychologen oder Therapeuten war, wird der Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsversicherung eben abgelehnt, Raucher oder Menschen die dem Alkohol zugeneigt sind, werden mit Risikoaufschlägen bedacht - die schöne neue Welt ist lang schon Realität. Und glauben Sie doch nicht, dass ihre Daten sicher seien - Hacker sind immer unterwegs, und wo ein Angebot ist greifen die Firmen auch zu.
Huxley und Orwell haben davor gewarnt, allein, die Warnungen scheinen ungehört zu verhallen.
So wie mir geht es, ob den Entwicklungen und Zuständen wohl auch einigen Anderen. Menschen, Autoren, die sich Gedanken machen um den Zustand unserer Gesellschaft, um Freiheitsrechte und um Tendenzen, diese immer weiter zu beschneiden, den gläsernen Bürger zu schaffen.
Rainer Schorm und Jörg Weigand haben gerufen - und die Zahl derer, die sich für dieses Thema interessierten und eine Geschichte beisteuerten, ist illuster.
Bekannte Verfasser, Bestseller-Autoren und Unbekannte tummeln sich zwischen den Buchdeckeln, aber auch Verfasser, auf die ich das erste Mal stieß. Ihnen allen liegt das Wohl des Individuums am Herzen, sie warnen zum Teil deutlich, ja drastisch vor den Gefahren der schönen, neuen und so einfachen Welt - nichts wird so einfach gut. Demokratie, Freiheit und Datenschutz sind nicht nur leere Worte, sondern etwas, das immer in Gefahr war und ist, um das es sich lohnt zu kämpfen, aufzustehen und die Stimme zu erheben. Wehret den Anfängen - dafür ist es längst zu spät. Aber noch können wir, so wir das Phlegma überwinden, Tendenzen aufhalten und vielleicht das Schlimmste verhindern.
Dies bieten die Verfasser in durchweg stilistisch ansprechenden, inhaltlich ergreifenden und überraschenden Texten dar - eine Anthologie, die gerade heute ganz wichtig ist und uns zeigt, wie viel verlorengehen kann, wie viel bereits verloren ging.