Frank W. Haubold: Dämonenstadt (Buch)

Frank W. Haubold
Dämonenstadt
Titelbild: Timo Kümmel
Atlantis, 2019, Paperback, 350 Seiten, 14,90 EUR, ISBN 978-3-86402-704-8 (auch als Hardcover und eBook erhältlich)

Rezension von Elmar Huber

„Er erinnerte sich nur zu gut an das Gefühl des Unbehagens, das er damals empfunden hatte. Manchmal war es ihm vorgekommen, als sammle sich ein klebriger Dunst in der Stadt, der wie ein lähmender Alpdruck auf jeder Bewegung lastete. Er erschwerte das Atmen, obwohl das sicher kein Arzt bestätigt hätte, und ließ nach Einbruch der Dämmerung die Straßen veröden.“

Eines Morgens findet der Schriftsteller Markus Blau eine Mappe mit Zeichnungen auf seinem Schreibtisch, die Motive aus seinem Heimatort Raunburg zeigen. Er ahnt einen Zusammenhang mit dem einige Tage zurückliegenden Anruf seines alten Kumpels Mike - „Hier passieren die komischsten Sachen.“ -, dem Einzigen von damals, der in Raunburg geblieben ist. Und gibt es auch eine Verbindung zu der Frau, die in den letzten Nächten wiederholt in seinen Träumen aufgetaucht ist?

Auch Kriminaloberrat a. D. Walter Hombach erhält in seinem Seniorenheim nächtlichen Besuch, der ihn dazu bewegt, sich erneut mit dem Fall Evelyn Trautwein und Tochter zu beschäftigen. Nur einer in einer ganzen Reihe von Vermisstenfällen, die damals, fast vierzig Jahre zuvor, als Republikflucht abgehakt wurden.

In Raunburg angekommen, kreuzen sich die Wege der beiden Männer. Sie erfahren nicht nur, dass Mike inzwischen tot ist, sondern dass es eine ganze Serie ähnlicher Morde gibt. Und mehr als einmal wurde in der Nähe der späteren Opfer eine geheimnisvolle Frau und ein kleines Mädchen gesehen.

„Auch wenn er vor Ort kaum auf etwas stoßen würde, das den Polizisten entgangen war, half es manchmal, sich selbst ein Bild zu machen. Immerhin war es fast 40 Jahre her, dass sie als Kinder im Wald dahinter gespielt, Höhlen gebaut und Mutproben absolviert hatten, und er hatte inzwischen nur noch vage Vorstellungen, wie es damals dort ausgesehen hatte. Es war durchaus möglich, dass die ein oder andere Erinnerung zurückkehrte, wenn er sich dort ein wenig umsah.“


Ein lange zurückliegendes Verbrechen beschwört die Geister herauf, die wiederkehren, um Rache zu nehmen. Frank W. Haubolds Mystery-Thriller scheint zunächst in die Richtung zu gehen, die auch Stefan Melneczuks „Marterpfahl“ oder Vincent Voss‘ „Töte John Bender!“ eingeschlagen haben. Auch was den Ursprung der Ereignisse in den 80er Jahren angeht.

Doch schon bald schlägt „Dämonenstadt“ einen sehr eigenständigen Weg ein, der den Roman immer mehr von den genannten Beispielen abhebt. Auch Frank Haubolds Eigenart, gern einmal in träumerische Gefilde zu driften und gar nicht alles haarklein aufzuklären, verleiht der Erzählung eine außergewöhnliche, bisweilen sogar entrückte Stimmung.

Auf der anderen Seite ist „Dämonenstadt“ deutlich in der Realität verankert. Erzählt wird im Grunde ein Rache-Thriller; jemand übt Vergeltung für etwas, was vor langer Zeit passiert ist. Natürlich werden nicht nur Blau und Hombach auf die Ereignisse aufmerksam, sondern auch Leute, denen überhaupt nicht an der Aufdeckung der Mordserie und was damit zusammenhängt, gelegen ist. Alte Seilschaften aus DDR-Zeiten werden wieder aktiviert. So stellt sich bei der Lektüre durchaus ein gewisses Nordic-Noir-Feeling (die Thriller aus Skandinavien) ein.

Alles in allem bietet Frank Haubolds Roman eine ungewöhnliche Mischung aus geradlinigem Thriller und tragischer Geister-Geschichte. Sehr atmosphärisch, flüssig geschrieben und damit ein echter Pageturner.

Illustrator Timo Kümmel hat für „Dämonenstadt“ ein wunderbar mysteriöses Coverbild geschaffen, das das nebelverhangene „Hexenhaus“ mit den vagen Silhouetten von Evelyn Trautwein und ihrer Tochter zeigt.