Carlos Rasch: Zurück zum Erdenball – Raumlotsen 1 (Buch)

Carlos Rasch
Zurück zum Erdenball
Raumlotsen 1
Titelillustration von Klaus Brandt
Projekte-Verlag, 2009, Paperback, 308 Seiten, 16,50 EUR, ISBN 978-3-86634-805-9

Armin Möhle

„Zurück zum Erdenball“ ist der erste Band der auf vier Bücher angelegten „Raumlotsen“-Serie von Carlos Rasch. Der Autor hat von 1961 bis 1971 diverse SF-Romane und -Erzählungen in der DDR veröffentlicht, zwei Erzählungen folgten in den 1980er Jahren. Nach dem Lexikon „Die Science Fiction der DDR – Autoren und Werke“ (Das Neue Berlin, Herausgeber Erik Simon und Olaf R. Spittel, 1988) ist Rasch „(...) mit den Großteil seines (...) Werkes der Raumfahrt- und Prognose-SF der sechziger wie auch der phantastisch verbrämten SF-Variante des sogenannten „Produktionsromans“ der späten fünfziger Jahre verhaftet.“ (S. 221).

Mit der „Raumlotsen“-Reihe setzt der inzwischen fast achtzigjährige Rasch seine Weltraum-SF fort. Laut Klappentext von „Zurück zum Erdenball“ sind die Kurzgeschichten „(...) größtenteils unveröffentlicht, neun von ihnen wurden für die Reihe überarbeitet.“ Leider enthält der Band keine Angaben darüber, welche der sechs Erzählungen bereits abgedruckt und möglicherweise überarbeitet wurden. Anhand der Titel können immerhin „Verlobung im Orbit“ und „Raumschlepper HERKULES“ als (überarbeitete?!) Nachdrucke ausgemacht werden (Erstveröffentlichung bei Neues Leben, 1972).

Carlos Rasch hat seine „Raumlotsen“-Erzählungen in der nahen Zukunft und im heimischen Sonnensystem angesiedelt. Die Erzählung „Und ringsum nur die Sterne“ eröffnet den vorliegenden Band. Das Raumschiff AJ-408 erreicht als Ablösung den Asteroidengürtel. Die AJ-408 hat gemeinsam mit den übrigen Fahrzeugen der Flotte den Auftrag, die Flugrouten der irdischen Raumschiffe vor Meteoriten und Asteroiden zu schützen. Doch außer einer ‚Raumtaufe‘, dem Abschuss einiger Gesteinsbrocken und dem Empfang verzerrter Funksignale ereignet sich in „Und ringsum nur die Sterne“ nicht viel – kein ansprechender Auftakt für „Zurück zum Erdenball“!

„Vandalus, Epos der Freundschaft“ beschreibt zunächst die Havarie des Forschungsraumschiffes ASTRON, nachdem die Besatzung Funksignale aufgefangen hatte, die ihren Ursprung außerhalb des Sonnensystems zu haben scheinen. Die Crewmitglieder der ASTRON kämpfen um ihr Überleben und opfern sich auf. Dann greift der Autor auf die AJ-408 zurück, die einen Asteroiden anfliegt, auf dem ein Funkwarnfeuer ausgefallen ist. Die Besatzung der AJ-408 begegnet einem Raumschiff, das sie nicht für ein irdisches Fahrzeug hält. Vorsicht und Zweifel erfassen die Mannschaft der AJ-408, doch erfahrene Leser werden ahnen, worum es sich bei dem fremden Raumschiff tatsächlich handelt.

„Verlobung im Orbit“ thematisiert die Schwierigkeiten, die heimgekehrte Raumfahrer haben, sich wieder an menschliche Gesellschaft anzupassen. So wollen sie durchweg ihre psychologischen Betreuerinnen heiraten, doch diese wissen, dass die Erde letztlich eine viel stärkere Anziehungskraft ausübt, so auch in diesem Fall. Der Story wurde eine Episode aus der Vergangenheit der Psychologin Cora hinzugefügt, die mit der vorangegangenen Handlung in keinem Zusammenhang steht.
In „Diamanten von Purpurgrazia“ stehen zwei Atmungsmutanten im Vordergrund, die auf einem Jupitermond bei der Förderung von Bodenschätzen geholfen haben. Nun, nach zwanzig Jahren (sic!), steht ihre Rückkehr zur Erde bevor, der von einem Asteroideneinschlag (zunächst) vereitelt wird. Diskriminiert von ihren normal-menschlichen Kameraden nutzen die beiden Atmungsmutanten die Gelegenheit, mittels ihrer Fähigkeiten sich nicht nur selbst sondern auch ihre Kameraden zu retten. Es erstaunt, mit welcher Unbekümmertheit der Autor die Atmungsmutanten zwanzig Jahre auf dem Jupitermond arbeiten ließ. Keiner seiner Raumfahrer in „Zurück zum Erdenball“ verbringt auch nur annähernd denselben Zeitraum im All! Keine Zeile darüber, ob eine solche Knechtschaft vertretbar ist; keine Zeile darüber, welche psychischen Auswirkungen sie bei den Atmungsmutanten hatte. Es würde nicht überraschen, wenn die beiden Mordpläne schmieden würden, anstatt ihre Kameraden zu retten.

Der „Raumschlepper HERKULES“ ist das einzige Fahrzeug, das rechtzeitig Wasservorräte zur Marskolonie befördern kann. Doch der auserwählte Kommandant weigert sich zunächst, den Auftrag zu übernehmen, weil er erst kürzlich von einer mehrjährigen Mission zurückgekehrt ist. Doch nicht unerwarteterweise ändert er seine Meinung und bedingt sich eine Besatzung aus, die aus Raumfahrern besteht, die sich wegen diverser Fehler, die sie begangen haben, zu rehabilitieren wünschen.

Einen „Absturz beim Prüfungsflug“ muss der angehenden Raumlotse Jan bewältigen. Er soll eine alte Depotrakete auf der Erde landen, wo sie entladen und verschrottet werden soll. Jan kann zwar mit der Depotrakete die Parkbahn noch problemlos verlassen, doch der Abstieg zur Erde gerät außer Kontrolle. Auch diese Story hält für erfahrene Leser keine neuen oder zumindest seltenen Wendungen bereit. Unfreiwillig komisch wird der „Absturz beim Prüfungsflug“, als sich Jan nach seiner Notlandung mit durchgedrehten Schürfrobotern auseinandersetzen muss.

Das Konzept des Autors ist selbstverständlich legitim. Die Storys in „Zurück zum Erdenball“ erwecken den Eindruck, dass sie unter dem Einfluss der beginnenden realen Raumfahrt entstanden sind und diese in die Zukunft extrapolieren wollen. Psychologische Aspekte spielen immerhin ansatzweise eine Rolle (in „Verlobung im Orbit“, „Raumschlepper HERKULES“ und in „Absturz beim Prüfungsflug“); dort, wo sie sich geradezu aufdrängen, fehlen sie komplett (in „Diamanten von Purpurgrazia“). Die Protagonisten füllen die Rollen aus, für die sie entworfen sind, entwickeln darüber hinaus aber keine eigenen Charakterzüge, woran auch die Dialoglastigkeit mancher Erzählungen nichts ändert, im Gegenteil.

Der Autor erlag bei der Überarbeitung beziehungsweise dem Verfassen seiner Erzählungen der Versuchung, diverse Anglizismen einzufügen, die nicht zu der Sprache der Texte passen. So ist früh von einem „Stargate“ (Seite 14), das sich problemlos hätte eindeutschen lassen, die Rede, später kommt ein „Kurs-Dispatcher“ (Seite 250) hinzu. Andererseits wird die Erde durchweg als „Irdien“ und Raumschiffe als „Raketen“ bezeichnet. Auch der Versuchung, sich des Black Box-Prinzips zu bedienen, konnte Rasch nicht widerstehen, was seinen Anspruch auf die realitätsnahe Gestaltung seiner Erzählungen konterkariert: Kann man einerseits das Stargate vielleicht noch als theoretische Überlegungen durchgehen lassen, nutzen andererseits die ‚Raketen‘ bereits einen ‚solaristischen Relativitätswandler‘ (Seite 79) als Antrieb.

In mancher Hinsicht weisen die Erzählungen in „Zurück zum Erdenball“ eine gewisse Konsequenz und Plausibilität auf. Andere Aspekte sind dagegen zwiespältig. Ob der Autor diese Widersprüche auflösen kann, werden die Folgebände der „Raumlotsen“-Serie zeigen müssen.