Mike Mignola und Christopher Golden: Baltimore oder Der Standhafte Zinnsoldat und der Vampir (Buch)

Mike Mignola und Christopher Golden
Baltimore oder Der Standhafte Zinnsoldat und der Vampir
(Baltimore, or, The Steadfast Tin Soldier and the Vampire, 2007)
Übersetzung: Christian Langenhagen
Titelbild und Illustrationen: Mike Mignola
Cross Cult, 2020, Taschenbuch, 358 Seiten, 16,00 EUR, ISBN 978-3-966580-65-6 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Die Schrecken des Krieges sind allgegenwärtig. Junge Männer, einst der Stolz ihres Landes und voller Zuversicht aufgebrochen die Ehre ihrer Heimat auf den Schlachtfeldern Europas zu verteidigen, kehren von der Front zurück. Oft fehlen Gliedmaßen, ist die Lunge angegriffen, oder sind sie blind. So manches Mal aber ist es keine offensichtliche Verletzung, keine Erkrankung des Leibes, die sie zu Versehrten macht - die Psyche, das was sie in den Schützengräben erlebt, überlebt aber nie verarbeitet haben hat sie innerlich gebrochen.

Lord Henry Baltimore zog wie so viele seiner Generation aus, die Glorie Britanniens auf dem Festland gegen die Teutonen zu verteidigen. Als er eines Tages den Befehl erhält, in der Nacht einen Angriff auf die Hessen anzuführen ahnt er, dass dieses Kommando eine Selbstmordmission ist. Die Deutschen warten mit ihren MG-Nestern nur auf die blind Anstürmenden.

Alle werden vom Kugelhagel niedergemäht, auch Lord Baltimore selbst wird getroffen. Als er bedeckt von Leichen zu sich kommt, glaubt er in einem Albtraum, vielleicht gar der Hölle zu sein. Merkwürdige geflügelte Wesen nähren sich von den Siechenden und Toten. Es gelingt ihm, eines der Wesen zu verletzten, bevor dieses seinen fauligen Odem in Baltimores Wunde entlässt. Das Bein muss abgenommen und durch eine Holzprothese ersetzt werden. Seitdem hat der Lord sein Dasein dem Kampf gegen das Böse gewidmet.

Jahre später bestellt er drei seiner Weggefährten - einen Seefahrer, einen Arzt und einen Mönch - zu einem Treffen in einem Wirtshaus einer vom Krieg gezeichneten Stadt. Bis ihr Gastgeber eintrifft, vertreiben sich seine Gäste die Zeit damit, von ihren Begegnungen mit Baltimore zu berichten, nicht ahnend, dass ihnen weit Schlimmeres als beschrieben erst noch bevorsteht.


Die Comics Mike Mignolas um Sir Baltimore erfreuen sich regen Zuspruchs und wurden vom Verlag 2017 in einem Prachtband gesammelt neu veröffentlicht. In vorliegender Roman-Adaption, zu der sich der Autor und Zeichner mit Christopher Golden kundige Hilfe geholt hat, wird die Vorgeschichte des Vampirjägers erzählt.

Die Autoren - mir ist leider nicht bekannt, inwieweit sich Mike Mignola hier über seine Illustrationen hinaus eingebracht hat - berichten uns zunächst vom Schrecken des Ersten Weltkriegs. In schockierend realistischen Bildern zeigen sie die Grausamkeiten der Kämpfe, die Verzweiflung der Soldaten und die Unsinnigkeit der Auseinandersetzung per se.

Abgesehen davon, dass Mignola die Pickelhaube der Hessischen (deutschen) Soldaten nicht kennt sondern den Wehrmachtshelm ablichtet, beleuchten seine schwarz-weiß Illustrationen das Geschehen kongenial.

Auch die Darstellung der Gestaltwandler (Wer-Bär) und der Vampire erweist sich als wohltuend anders, ist weit weg von den Beaus, die in den letzten Jahren die Romantasy bevölkert haben. Hier begegnen uns Bestien in wechselnder Gestalt, die mitleidlos jagen und morden.

Das passt weit mehr zu der düsteren Atmosphäre des Bandes und macht die Taten unseres Vampirjägers nachvollziehbar.

Der Roman selbst lässt die ganze Unmenschlichkeit, das Grauen und die Hilflosigkeit der Menschen, die dem Kriegsgeschehen ausgeliefert sind, erahnen.

Atmosphärisch dicht nehmen die beiden Verfasser dabei Elemente aus der dem Buch beigegebenen Erzählung „Der standhafte Zinnsoldat“ von Hans Christian Andersen auf, wandeln und erweitern sie und fügen diese dem Kontext des Comics bei. Hierbei legen die Autoren besonderen Wert darauf ihren Lesern die Entwicklung Lord Baltimores vom überzeugten, integren Offizier Ihrer Majestät hin zum gnadenlos hassenden Jäger darzustellen. Dabei verwenden sie Anleihen bei Sagen und Märchen, huldigen der düsteren Romantik ebenso wie Bram Stoker - wobei dem Text anzumerken ist, dass insbesondere die Nebenfiguren oft eher rudimentär gezeichnet werden.

Insgesamt wendet sich das Buch in erster Linie an Leser der Comics und Anhänger des dunklen Horrors. Diese werden mit diesem Roman bestens bedient und spannend unterhalten.