Baker Street Tales 6: Sherlock Holmes und die Ruinen von Rougemont, Barbara Büchner (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 06. Februar 2020 14:01

Baker Street Tales 6
Sherlock Holmes und die Ruinen von Rougemont
Barbara Büchner
Hrsg.: Alisha Bionda
Titelbild und Innenillustrationen: Shikomo
Arunya, 2017, eBook, 2,99 EUR
Rezension von Elmar Huber
„Natürlich gab es auch Fälle, an denen er gescheitert war, denn schließlich ist selbst der größte Detektiv kein Hellseher. Aber dieses Scheitern hatte meist recht banale Ursachen wie zum Beispiel, dass es an einem Tatort keine Spuren mehr zu untersuchen gab, weil eine Kohorte Nachbarn und Polizisten darauf herumgetrampelt waren. Solche Fälle waren für ihn einfach „verdorbene Fälle“. Ein perfekter Fall wäre für ihn einer gewesen, in dem es ausreichend Spuren gab, der sich aber dennoch als unentwirrbares Rätsel erwies.
„Wie das Verschwinden in der Orangerie von Rougemont“, murmelte ich vor mich hin, ohne zu merken, dass ich halblaut gesprochen hatte.“
Auf das Drängen seinen Freundes John Watson sieht sich Sherlock Holmes widerwillig genötigt, sich noch einmal mit dem Fall „Rougemont” zu beschäftigen, dem rätselhaften Verschwinden mehrerer Menschen unweit der Überreste der Orangerie von Rougemont. Das Anwesen gehörte dem Stahl-Tycoon Gilbert Givenchy, der drei Jahre zuvor, scheinbar ohne jedes Motiv, erst die gesamte Dienerschaft verscheucht und dann seine Familie, seine Pferde und sich selbst erschossen hat. Letzteres, nachdem er auf dem Anwesen Feuer gelegt hatte. Lediglich die beeindruckende Orangerie wurde aufgrund der dort herrschenden Feuchtigkeit weitgehend von den Flammen verschont. Erben gibt es keine, das Gelände ist verwaist.
Ein Jahr darauf verschwindet ein 18jähriges Mädchen, das zuletzt an dem Gewächshaus gesehen wurde, danach ein Briefträger kurz vor dem Ruhestand und schließlich eine sechsköpfige Familie, die nahe der Ruine eine Kutschpanne hatte. Geht tatsächlich Givenchys Geist in den Ruinen von Rougemont um, wie die Landbevölkerung behauptet? Oder spielt das sirenenhafte Pfeifen eine Rolle, das einige aus dem Gewächshaus gehört haben wollen? Oder ist tatsächlich eine intelligente heidnische Pflanze am Werk, die sich auf perfide Weise ihre Nahrung beschafft?
„Das Geheimnis von Rougemont ist sehr schnell und leicht erklärt, das können Sie mir glauben. An dem Ort ist etwas geschehen, das zwar ganz und gar nicht mysteriös war, aber hinreichend schrecklich, um die Phantasie unserer guten Hauswirtin zu beschäftigen, wie übrigens auch die einer Menge anderer Leute. Hinzu kommt natürlich, dass Brandruinen an und für sich kein heimeliger Ort sind. Wer sie betritt - was mit gutem Grund verboten ist, möchte ich betonen -, ist mit allen Sinnen darauf eingestellt, sich zu fürchten, und die gefällige Phantasie liefert ihm die dazu nötigen Gespenster. Der Ort ist gewissermaßen getränkt mit Unheimlichkeit, und von da an wird jeder Schrei eines Käuzchens, jedes Knarzen eines Baumes, jedes Quaken eines Frosches im Teich zu einem Beweis, dass Unheimliches auch jetzt noch dort wirkt.“
Nach Folge 2 der Novellen-Reihe „Baker Street Tales: Der geheimnisvolle Mr. Scrabb“ legt Barbara Büchner hier ein weiteres Sherlock-Holmes-Abenteuer vor, das vor unheimlicher Atmosphäre nur so klotzt.
Zunächst baut die Österreicherin mit einem kleinen Exkurs in die jüngere Historie des Palmenhauses und seines Erbauers eine schlanke, aber stabile Basis für ihre Erzählung. Dann schafft sie vor dem inneren Auge des Lesers dieses fremdartige Bauwerk, in dem durch den jahrelangen Wildwuchs der exotischen Pflanzen eine bedrückende, dschungelartige Atmosphäre herrscht. Auch rückt sie sie Pflanzen als Kreaturen mit einem zumindest rudimentären Eigenleben ins rechte Licht, denen eine nicht zu unterschätzende Kraft (und ein Wille?) innewohnt. Stellenweise haben ihre Äste und Ausläufer mit archaischer Kraft das Glas zerstört, sodass der lebenswichtige Regen eindringen konnte.
Hiernach nutzt sie diese bedrückende Ausgangsstimmung, um von dort aus noch mal einige schauerliche Elemente ins Spiel zu bringen und die Erzählung damit immer weiter zu verdichten. Wie kommt zum Beispiel das Fahrrad des verschwundenen Briefträgers in das Gewächshaus, und wer (oder was?) stößt das geheimnisvolle leise Pfeifen aus, das sogar Sherlock Holmes bei einem Besuch der Ruinen hört?
Zusätzlich gelingt es Barbara Büchner, dem Geschehen noch eine skurrile Note zu geben, die jedoch die dichte Atmosphäre in keiner Weise beeinträchtigt. Holmes überhebliche und spitzzüngige Kommentare zu dem vermeintlichen Geistertreiben tun ein Übriges, „Die Ruinen von Rougemont“ zu einem uneingeschränkten Vergnügen zu machen. Dass die Ereignisse am Ende gar nicht bis ins Kleinste aufgeklärt werden, spielt angesichts des stimmungsvollen und originellen Schauergarns gar keine Rolle.
Die dichte Atmosphäre steht im Vordergrund dieser großartigen Sherlock-Holmes-Geschichte, die man fast als Schauer-Novelle bezeichnen könnte.