Jenn Lyons: Der Untergang der Könige - Drachengesänge 1 (Buch)

Jenn Lyons
Der Untergang der Könige
Drachengesänge 1
(The Ruin of Kings, 2019)
Übersetzung: Urban Hofstetter und Michael Pfingstl
Titelbild: Lars Grant-West
Hobbit Presse, 2019, Hardcover, 864 Seiten, 25,00 EUR, ISBN 978-3-608-96341-0 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Höret die Mär von einem Jungen aus den Elendsvierteln Quurs, der auszog, die Götter zu prüfen und die Welt zu retten oder sie zu verdammen. Doch lassen wir doch den jungen, inzwischen zum Manne Gereiften selbst zu Wort kommen.

Die Saga beginnt - mehr als passend - in einer Kerkerzelle. Kihrin, so heißt unser unfreiwilliger Erzähler, wartet hier auf seinen schmerzhaften Tod. Bewacht von Klaue, einem Seelenfresser, der dank seiner Fähigkeit, die Gedanken Kihrins zu lesen, all seine magischen Fähigkeiten blockieren kann, vertreiben sie sich - der eine neugierig, der andere gezwungenermaßen -, die Zeit damit, das Leben des Gefangenen Revue passieren zu lassen.

Abwechselnd berichtet Kihrin selbst, dann wieder sein Kerkermeister, der den Jungen seit Jahrzehnten in unterschiedlichsten Körpern - ja, auch verführerische Frauen waren darunter! - verfolgt hat, von und aus dessen Leben.

Während Kihrin selbst seine Jugend unter den Tisch fallen lassen will, nutzt Klaue seine intime Kenntnis der Vorgänge, um uns hier einen so manches Mal nicht gerade vorteilshaften Einblick in das Leben des Jungen zu geben.

Aufgewachsen in einem Bordell Quurs, aufgezogen von der Puffmutter und einem Sänger, begibt sich der Junge schon bald auf Abwege - sprich, er stiehlt, wenn auch aus noblen Motiven. Dass er eines Tages ein scheinbar verlassenes Haus besucht, in dem gerade eine dunkle Beschwörung eines Dämons stattfindet, bringt die Geschehnisse erst so richtig ins Rollen. Verfolgt von dem Dämon, wird er als Sprössling eines der die Stadt beherrschenden Adelsgeschlechter erkannt und ins Anwesen geholt. Dass seine Freunde dabei von Klaue mitleidlos gemeuchelt werden, dass er sich seinem vorgeblichen sadistischen Vater ohne Freunde stellen muss, erschwert sein Dasein.

Kihrin selbst beginnt seine Geschichte damit, wie er als Sklave für sage und schreibe eine Millionen Ords - ein unglaublicher, nie zuvor erreichter Preis für einen Sklaven - an die Schwarze Bruderschaft versteigert wurde. Sein weiterer Weg entpuppt sich als Flucht - verfolgt von einem Zauberer, einem Mann, der den Göttern erst ihre Macht gegeben hat, findet er Unterschlupf und Ausbildung auf einer Insel im Nirgendwo. Dass er diese nicht verlassen kann, weil ein veritabler Drache - so groß wie eine ganze Ortschaft -, auf ihn wartet und ihn zwingen will, für Unterhaltung und Kurzweil zu sorgen ist noch sein geringstes Problem…


Nachdem sich Patrick Rothfuss dem leidigen Vorbild George R. R. Martins und Jim Butchers folgend sich mit dem dritten Band seiner „Königsmörder-Chroniken“ nach wie vor Zeit lässt, sind Herausgeber und Verlag auf der Suche nach Büchern, die sich als High-Fantasy-Lesestoff für die Fans der Hobbit Presse eignen. In Anthony Ryan hat man einen entsprechenden Autor gefunden, doch mit ihm alleine kann man den Bedarf nicht wirklich decken.

Jenn Lyons „Drachengesänge“-Trilogie erweist sich hier als wahrer Glücksgriff.

Die Lektüre bietet sich zunächst nicht ganz einfach an. In den beiden alternierenden Erzählsträngen berichten uns der Protagonist als Ich-Erzähler und Klaue in der dritten Person vom Leben Kihrins.

Nicht nur der zeitliche Abstand der beiden Erzählebenen, auch der bewusst anders angelegte Stil, die vielen Ereignisse, die erst später genauer eingeordnet und gewertet werden können, machen die Lektüre zur Herausforderung. Wie bei einem Puzzle, besser noch wie ein Mosaik, muss sich der Leser die Zusammenhänge erarbeiten, muss mitdenken, hinterfragen, Verbindungen knüpfen und bewerten. Dies ist beschwerlich aber gleichzeitig sehr befriedigend, erhält man auf die Art und Weise doch ein sehr dezidiertes Bild unseres Hauptcharakters.

Der unterschwellige mehr als trockene Humor, der insbesondere die Berichte Klaues auszeichnet, tragen ebenso zum Lesevergnügen bei, wie die Welt, ihre politisch-wirtschaftlichen Zusammenhänge und letztlich ihr Machtgefüge mit vier unsterblichen Rassen, Göttern und Drachen.

Das hat jede Menge intelligenten Witz, bietet uns eine Welt an, die sich von den üblichen archaischen Fantasy-Bühnen durch ihre Detail- und Realitätstreue unterscheidet, verzückt mittels der fast 170 Fußnoten, die den Text weiter auflockern und erläutern, und unterhält bestens.