Sonnenstein 1 (Comic)

Stjepan Sejic
Sonnenstein 1
(Sunstone TPB 1, 2014)
Übersetzung: Sandra Kentopf
Panini, 2015, Hardcover, 132 Seiten, 24,99 EUR, ISBN 978-3-95798-459-3

Rezension von Elmar Huber

Schon auf den ersten Seiten wird der Leser mit noch folgendem „heißen Lesben-Bondage-Sex“ geködert, wenn Ally sich mit diesem Versprechen direkt an den Leser wendet. Doch nicht deswegen hat die Serie hier schon gewonnen, sondern weil einem jetzt schon klar ist, dass es um Personen mit Gefühlen, Träumen, Wünschen, aber auch Selbstzweifeln, Ängsten und einer Menge Humor geht.

Abwechselnd fungieren die Hauptfiguren Ally und Lisa als Erzählerinnen, und nach einem kurzen, zum Schmunzeln einladenden Abriss, wie sie über das Trial-and-Error-Prinzip jeweils ihre speziellen Vorlieben entdeckt haben, wird man Zeuge, wie sie sich nach zweimonatigem Hin und Her per BDSM-Chat im Real Life verabreden.

Aufregung, Vorfreude, Bedenken und Hoffnung machen die drei Tage bis zu dem Treffen für beide zur Qual, zu einem Gefühlschaos zwischen Verlangen und Angst. Dabei gibt sich die dominante Ally cool, doch kann auch sie ihre Aufregung nicht verbergen und geht damit ihrem vertrauten Kumpel (und ehemaligen Liebhaber) Alan gehörig auf die Nerven. Die devote und vorsichtige Lisa dagegen kann den Grund für ihre Nervosität niemandem anvertrauen und zerfließt beinahe vor Spannung.

Das Treffen bei Ally wird keineswegs die halbwegs erwartete Katastrophe. Die Damen beschnuppern sich gegenseitig, die Sympathie überwiegt, und beide probieren sich übereinkommend als Spielgefährten aus. Eine Zeit, die beide mehr als genießen. Und über ihre sich ergänzenden sexuellen Interessen hinaus bahnt sich langsam, aber sicher mehr an.


Mit „Sonnenstein“ liegt der ehemalige Internet-Comic, der als Bilderserie auf Deviantart (altersbeschränkt!) und als Gratis Comic (!) begann, nun in erweiterter Form im edlen Album-Format vor. Nichts anderes ist eigentlich denkbar, wenn man dieses schmucke Endprodukt in Händen hält.

Man erwartet eigentlich schon, dass es sich um keinen harten Fetisch-Sex-Comic handelt, doch wie filigran Stjepan Sejic, mit Unterstützung seiner Frau, die Gefühle seiner Mädels aufs Papier und an den Leser bringt, überrascht dennoch. Es sind die Kleinigkeiten, das Knabbern an der Lippe, der Blick über die Schulter, das Knacken der Finger, die die Figuren regelrecht zum Leben erwecken.

Wie schon erwähnt, ist der humorvolle Einstieg mehr als ‚catchy‘, und man kann den Comic-Roman eigentlich gar nicht mehr zur Seite legen, sobald einen Lisas und Allys Gefühlsstrudel erst einmal mitreißt.

Auch die grandiose Optik trägt einen erheblichen Teil zur Wirkung bei. Die Bilder sind edel, die Aufteilung erfolgt ganz nach Bedarf, mal ganzzeitig, meist mehrere seitenbreite Panels untereinander, teils aber auch kleine Bilder in ein großes eingebettet. Die Rahmen sind mal sauber, mal wild ausgefranst oder kunstvoll verziert (zum Beispiel in ein Mieder eingepasst und verschnürt), etwa bei der ‚Modenschau‘, die Ally und Lisa veranstalten, wenn es um die Garderobe für ihr erstes Date geht.

Alles ist natürlich sehr sexy dargestellt, und trotz Leder, Lack und Lingerie besitzen die beiden Protagonistinnen eine bezaubernde Reinheit und absolut nichts von irgendeiner schmuddeligen Betonkeller-Perversion, als die BDSM & Co. oft noch gesehen wird.

Man könnte der Geschichte höchstens ankreiden, dass hier, anders als beispielsweise in „Contro Natura“, dem körperlichen Idealbild gefrönt wird.

Auch wenn alles fast zu schön ist, um wahr zu sein, werden gleichzeitig durchaus reale Themen des S/M-Sex ausgesprochen. Lisa macht es an einer Stelle deutlich: „Für jemanden, der devot ist, ist das Risiko riesengroß. Vertrauen bedeutet, dass man zulässt, dass die andere Person einen fesselt, während man ihr glaubt, dass sie die Unantastbarkeit des Safewords respektieren wird.“
Lisas Safeword ist übrigens „Sonnenstein“.

Was die emotionale Dynamik und Wirkung der Story angeht, dürfen auch Fans von Thierry „Jim“ Terrasson („Eine Nacht in Rom“, „Helena“) durchaus einen Blick riskieren. So weit ist „Sonnenstein“ gar nicht von den bittersüßen Geschichten des Franzosen entfernt.

Der Band wartet noch mit einem mehr als umfangreichen Bonus-Teil auf. Hier tritt Autor und Zeichner Stjepan Seijic selbst als Comicfigur auf und zeichnet augenzwinkernd den Weg von den ersten Bildern, die auf dem Künstlerportal Deviantart veröffentlich wurden, zum fertigen Comic nach. Weiterhin sind phantastische Einzelbilder von Ally und Lisa enthalten. Ausgearbeitete Studien, die mal ganz ernst und sexy und mal ironisch (der Ärger mit der Latexkleidung im Hochsommer) daherkommt.

„Sonnenstein“ 1 ist eine hinreißend gefühlvolle Romanze im BDSM-Outfit. Grandiose Bilder und ein prall gefülltes Bonus-Paket machen den Comic eigentlich zum Pflichtkauf für die Nicht-Superhelden-Fraktion.