Stefan Burban: Zu neuer Würde - SKULL 1 (Buch)

Stefan Burban
Zu neuer Würde
SKULL 1
Titelbild: Mark Freier
Atlantis, 2018, Paperback, 392 Seiten, 13,90 EUR, ISBN 978-3-86402-54-6 (auchals Hardcover und eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Im Jahr 2625 bekämpfen die Raumflotten des Vereinigten Kolonialen Königreichs rebellische Planetenverbände, die ebenso, wie einst das Imperium von der Solaren Republik die Unabhängigkeit erfolgreich anstrebte, die Souveränität wünschen.

Über und auf dem Planeten Tessa tobt ein erbitterter Kampf. Als Commodore Dexter Blackburn von der „Horatio Nelson“ den Befehl erhält, einen bestimmten Sektor der Welt mit den Bordwaffen ins Visier zu nehmen, wundert er sich nur kurz über die ihm unbekannte Signatur - das Unendlich-Zeichen, durchtrennt von einem Schwert -, mit der die Anweisung versehen ist und durch die verhindert werden soll, dass der Gegner mit gefälschten Nachrichten Einfluss nimmt. Nachdem Captain MacAvoy bestätigte, dass die neue Position des Schiffes sicher sei und sich keine von den eigenen Truppen in jener Zone befindet, lässt Blackburn das Ziel bombardieren.

Es kommt zur Katastrophe, denn die Marines von Captain Lennox Christian waren gerade in dieses Gebiet verlegt worden und sterben im Feuerhagel ihrer Kameraden, während die „Horatio Nelson“ zur gleichen Zeit von Rebellenraumern angegriffen wird. Die Marines werden nahezu aufgerieben, das Schiff wird zerstört, und Blackburn weiß nicht, wie er das Ganze hat überleben können. Vor Gericht glaubt ihm keiner, als er von der mysteriösen Signatur berichtet, denn alle, die seine Geschichte hätten bestätigen können, sind tot und die Beweise mit der „Horatio Nelson“ untergegangen.

Im Jahr 2642 sind die Rebellen besiegt, und Blackburn hat eine zwanzigjährige Haftstrafe verbüßt. Da man im Vereinigten Kolonialen Königreich keinen Platz für „die Bestie von Tessa“ hat, versucht er, auf der Erde irgendwie durchzukommen. Noch immer peinigen ihn die Bilder von seinem Versagen und die Verbitterung, dass er bei dem Prozess keine reelle Chance gehabt hatte. Sein einziger Trost ist der Alkohol.

Als unverhofft Admiral Oscar Sorenson, ein alter Bekannter, auftaucht und ihm ein Angebot unterbreitet, lehnt Blackburn rundweg ab. Er ist ein Wrack und glaubt, er habe einen Neuanfang nicht verdient. Wenig später verliert er wegen seiner Trunkenheit den Job und wird auch noch überfallen. Es gelingt ihm, den Attentäter in die Flucht zu schlagen, von dem lediglich ein Knopf zurückbleibt - mit jenem Symbol, das damals die verhängnisvolle Bombardierung legitimiert hatte.
Blackburn ist klar, dass er nicht länger auf der Erde bleiben kann und er endlich einen Beweis dafür hat, dass seine Aussage vor Gericht mehr als eine Schutzbehauptung, wie die Justiz befand, war. Er akzeptiert Sorensons Offerte und wird wie so viele andere Militärs, die man nach Kriegsende nicht mehr benötigt, Mitglied einer Söldnereinheit.

Wieder in seinem alten Rang als Commodore gehört Blackburn fortan Sorensons Stab an und begibt sich zusammen mit den anderen Mitgliedern der Skulls nach Cascade. Ihr Auftrag lautet, die Förderanlagen der DIM zu bewachen, da der Konzern Sabotage durch die verbliebenen Rebellennester befürchtet. Ebenfalls auf Cascade weilt die konkurrierende Söldnertruppe Sigmar Riders, die, obschon sie ebenfalls für die Sicherheit der Konzern-Arbeiter sorgen soll, keinen Hehl daraus macht, dass ihr die gebeutelten Zivilisten völlig egal und die Skulls ihnen ein Dorn im Auge sind. Sobald die letzten Schiffe der Colonial Royal Navy abgezogen sind, wollen die den Skulls weit überlegenen Einheiten der Sigmar Riders die Kontrolle über Cascade übernehmen.

So viel Aufwand wegen eines Planeten, der noch immer unter den Folgen des Bürgerkriegs leidet? Wegen einiger Rebellen? Wegen der Minenarbeiter? Aus Rivalität? Es dauert lange, bis Blackburn, der nach Sorensons Verhaftung das Kommando übernehmen muss, die vielen losen Fäden mit Hilfe seiner nicht minder fähigen Kameraden verknüpfen kann und auf die Drahtzieher im Hintergrund stößt, den Zirkel, der praktisch das ganze politische und wirtschaftliche System des Vereinigten Kolonialen Königreichs unterwandert hat.

Allerdings wird ihm dieses Wissen nichts nützen, wenn es die Skulls nicht schaffen, die Übermacht der Sigmar Riders zu brechen und am Leben zu bleiben. Ein aus Verzweiflung geborener Plan, der viele Opfer fordern wird, ist ihre einzige Chance.


Vordergründig ist der erste Band der Military-SF-Serie „SKULL“ die Geschichte eines jungen Offiziers, der aus seiner hohen Position tief fällt und wirklich am Boden, im Dreck aufschlägt, bevor er „zu neuer Würde“ gelangt. Bis dahin hat er jedoch einen steinigen Weg vor sich:

Im Vereinigten Kolonialen Königreich, insbesondere auf seiner Heimatwelt Beltaran, ist er nach seiner Entlassung aus der Haft eine persona non grata. Nicht einmal sein Bruder, an den der Titel des Grafen von Beltaran fiel, den ursprünglich Dexter Blackburn erben sollte, will ihm verzeihen, und Blackburn kann sich ebenfalls nicht vergeben. Die Kameraden begegnen ihm mit einer Mischung aus Mitleid, Skepsis und - im Falle von Lennox Christian - offenem Hass. Ihre Achtung muss er sich erst verdienen.

Dazu erhält er bald Gelegenheit, denn die Sigmar Riders, mit denen die Skulls eigentlich auf Cascade kooperieren sollen, lassen ihre Masken sehr schnell fallen. Nicht nur fühlen sie sich aufgrund ihrer personellen und technologischen Überlegenheit nahezu unangreifbar - vor allem da die Colonial Royal Navy bemüht ist, sich neutral zu verhalten -, ihr Leiter Max Sigma, der in Wirklichkeit bloß die Marionette eines Mächtigeren ist, hat zudem offenbar sämtliche Sadisten und Verbrecher, die er auftreiben konnte, um sich geschart.

Damit kommt man zur eigentlichen Handlung. Das Vereinigte Koloniale Königreich wurde von einer geheimen Organisation, dem Zirkel, unterwandert. Seine Mitglieder besetzen nahezu alle wichtigen Positionen und lenken die Regierung(en) oder gehören dieser sogar an. The Deep State, der geheime Staat im Staat, vertritt ausschließlich die Interessen seiner Anführer, hält die Verantwortlichen und ihre Handlanger in Machtpositionen, mehrt ihren Einfluss und Reichtum, beutet die Bevölkerung des Imperiums aus, inszeniert (Bürger-) Kriege zwecks Gewinnoptimierung etc. und tut alles, um seine Existenz zu verschleiern. Wer sich mit dem Zirkel anlegt oder für ihn nicht länger von Nutzen ist, lebt nicht lange.

Stefan Burban veranschaulicht die Unterschiede zwischen den Skulls und den Sigmar Riders, die gar nicht wissen, für wen sie in Wirklichkeit arbeiten, durch viele Beispiele. Auf der einen Seite stehen harte, kampferprobte Männer und Frauen, die sich an einen Ehrenkodex halten und im Ernstfall Kollateralschäden klein halten wollen - auf der anderen der brutale Abschaum mit Kampferfahrung, der Freude daran hat, Zivilisten zu terrorisieren, einen unterlegenen Gegner abzuschlachten und dabei auch verabscheuungswürdige Mittel wie Giftgas einzusetzen. Die Zirkel-Oberen, so sie in Erscheinung treten, erweisen sich ebenfalls als skrupellos und grausam.

Infolgedessen liegen die Sympathien der Leser bei den Skulls und natürlich bei Blackburn, der trotz einiger unrühmlicher Entgleisungen nicht wirklich das angekratzte Image aufweist, das der Autor ihm zu verleihen versucht. Sehr schön sind hier auch der Konflikt mit Christian, der situationsbedingt vertagt wird, und eine angedeutete Romanze, die anders endet, als erhofft.

Erwartungsgemäß finden sich in diesem Military-SF-Abenteuer sehr viele und ausführliche Kampfszenen, die unzählige namenlose Tote und auch einige unter den Sympathieträgern fordern. Wer es weniger martialisch mag, muss schon einiges schlucken. Viele Protagonisten gehen offenen Auges in den Untergang, um ihren Kameraden Zeit zu verschaffen, damit dem Gegner vielleicht doch noch ein Schnippchen geschlagen werden kann oder seine Verluste wenigstens schmerzhaft sind.

Nur bei einigen Details schwächelt die insgesamt spannende und hochdramatische Handlung. So wundert man sich zum Beispiel, dass die Verantwortlichen von der Colonial Royal Navy so einfach die Behauptung schlucken, dass Rebellen ihren Stützpunkt angegriffen haben, was unlogisch ist, da diese damit den einzigen Machtfaktor ausgeschaltet beziehungsweise gegen sich aufgebracht hätten, der gemeinsam mit den Skulls die Sigmar Riders in Schach halten kann. Auch dass Blackburn am Ende (da wenigstens zwei weitere Bände folgen werden, verrät man kein großes Geheimnis) mit dem  Wenigen, was er weiß, einen vorübergehenden ‚Waffenstillstand‘ mit dem Zirkel aushandelt, um die Kämpfe zu beenden, wirkt recht dünn. Außerdem stellt man sich dieselbe Frage wie Blackburn, den man anfangs für ein Bauernopfer hielt, das zur falschen Zeit am falschen Ort war: Warum möchte der Zirkel ihn ausschalten? Wobei es, von dem Attentat einmal abgesehen, für diese Annahme keine konkreten Hinweise gibt.

Was man sich als kleines Extra wünscht: eine Liste von all den verwendeten Abkürzungen militärischer Einheiten, Konzernen und so weiter, eventuell auch eine Personenübersicht, denn an den verschiedenen Schauplätzen tummelt sich eine Vielzahl mehr oder minder langlebiger Akteure.

Das passende Cover lieferte Mark Freier: Über der Silhouette einer Stadt sieht man sich nähernde Raumschiffe und die Projektion des behelmten Gesichts eines Raumfahrers. Das Motiv ist in düsteren, kalten Farben in Blau-Türkis-Nuancen gehalten, von denen sich eine kleine, gleißende Sonne und das Gesicht mit einer roten Spiegelung im Bereich links unten, wie von einer Bombenexplosion, leicht abhebt.

In der Summe ist „SKULL“ 1, „Zu neuer Würde“, ein spannender SF-Roman mit interessanten, sympathischen Charakteren, der einen auch dann zum Weiterlesen veranlasst, selbst wenn man mit den detaillierten Beschreibungen von Raumschiffen, Waffensystemen, Kriegseinsätzen und so weiter nicht allzu viel am Hut hat. Es sind die Schicksale der Protagonisten, die berühren, und die Intrigen des Zirkels, die neugierig auf das Kommende machen.