Gail Honeyman: Ich, Eleanor Oliphant (Buch)

Gail Honeyman
Ich, Eleanor Oliphant
(Eleanor Oliphant Is Completely Fine, 2017)
Übersetzung: Alexandra Kranefeld
Lübbe, 2017, Hardcover, 528 Seiten, 20,00 EUR, ISBN 978-3-431-03978-8 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Karl E. Aulbach

„Ich, Elanor Oliphant“ von Gail Honeyman ist ein ganz spezielles Buch, das bei Erscheinen sehr viel Aufsehen erregt hat, gleichwohl aber nur für eine bestimmte Art Leserschaft von Interesse sein dürfte. Die schottische Autorin sinniert in dem Buch über die Grundidee der Einsamkeit, die sie in diesem Fall bei einer jungen etwa dreißigjährigen Frau in Verbindung mit sozialer Unbeholfenheit bringt.

Vor diesem Hintergrund erzählt sie in Ich-Form eine relativ kurze Zeit aus dem Leben der Eleanor Oliphant, in der sich aber dieser Charakter zunächst fast unmerklich, dann doch recht deutlich entwickelt. Das ist es denn auch, was die Faszination des Romans ausmacht und was das Buch letztendlich auch wertvoll macht, da es grundsätzlich geeignet ist, das Verständnis für andere Menschen und Denkarten zu fördern.

Im Buch tauchen immer wieder Hinweise auf ein schreckliches Erlebnis in der Kindheit Eleanors auf, das allerdings erst kurz vor Ende des Buchs aufgeklärt wird. Man erfährt vorher immerhin, dass sie bei vielen Pflegefamilien aufwuchs, von denen allerdings keine in der Lage war, das Mädchen zu erreichen, so dass sie nie tiefere soziale Bindungen kennenlernte.

Einem sehr guten Studienabschluss folgte keine adäquate Stelle sondern ein langweiliges Dasein als Buchhalterin mit kaum vorhandenen sozialen Kontakten. Aus dieser Grundsituation ein, auch noch relativ dickes, Buch zu schreiben, ohne in Langweiligkeit zu verfallen, dazu gehört schon etwas. Die Autorin schafft das, indem sie bei der Feinzeichnung dieses Charakters geradezu brilliert.

Eleanor fällt durch eine tiefe Ernsthaftigkeit bei gleichzeitig fehlendem Verständnis für Ironie und Sarkasmus auf, ohne jedoch - selbst wenn es wie ein Widerspruch klingt - humorlos zu sein. Daraus ergeben sich auch sehr witzige Situationen, die erheitern. Eleanor ist keine Figur, mit dem sich der Leser identifizieren kann, aber eine Figur, die so gut beschrieben wird, dass man ihre Denk- und Fühlweise gut nachzuvollziehen vermag und sich manchmal fragt, ob man manche Menschen nicht einfach viel zu oberflächlich sieht.

Ihr Leben bekommt eine erste Wendung, als sie beschließt, sich in einen  Sänger zu verlieben, den sie einmal bei einem Auftritt gesehen hat und der ihr seither als Idealbild vorschwebt. Im wirklichen Leben vollzieht sich diese Wendung weitaus diffiziler, als sie Ray kennenlernt, der in ihrer Firma die Computer betreut. Sie mag ihn zunächst nicht, da er im Gegensatz zu ihr ein recht lässiger Typ ist. Trotzdem kommen sich die beiden auf einer menschlichen Ebene - keine Beziehungsebene - ganz langsam immer näher, bis sie so etwas wie Freunde werden.

Teilweise recht witzige Alltagserlebnisse wie der Besuch der Maniküre oder der Friseurin öffnen manches Mal ein Fenster auf alternative Sichtweisen. Eleanor entdeckt dabei das Leben. Wer nur Action mag, dem wird dieser subtile Prozess, der über hunderte von Seiten beschrieben wird, langweilig vorkommen, aber das ist es durchaus nicht. Besonders gefallen hat, dass der Grundtenor des Buchs immer eine wohlwollende, positive Sicht auf den Menschen ist.