André Skora & Marco Ansing (Hrsg.): Kolonien - Welt unter Dampf (Buch)

André Skora & Marco Ansing (Hrsg.)
Kolonien - Welt unter Dampf
Titelbild: Christian Günther
Amrûn, 2018, Taschenbuch, 258 Seiten, 13,00 EUR, ISBN 978-3-95869-367-8

Rezension von Carsten Kuhr

Es gab eine Zeit, heute nennt man sie fälschlich die gute alte, in der die europäischen Länder ihre Dominanz, ihre Macht, sowohl auf wirtschaftlichem Gebiet wie auf militärischem gnadenlos ausnutzten. Sie nahmen sich, was sie bekommen konnten, machten sich Landstriche, Länder ja ganze Kontinente (Australien) untertan und beuteten die eroberten Gebiete gnadenlos aus. Die Iberische Halbinsel ist auf den Rohschätzen Südamerikas erbaut, Belgien, Frankreich, die Niederlande und Großbritannien teilten sich im Wesentlichen Afrika und Asien - auch das Deutsche Reich versuchte sich als Kolonialist, scheiterte dabei aber letztlich glücklicherweise kläglich.

In vorliegender Anthologie geht es um die Auswüchse des Imperialismus, um das Gebaren, mit dem die Herren in den Kolonien auftraten, mit der Selbstverständlichkeit, mit der eigene Traditionen und Gebräuche negiert und unterdrückt wurden. Es geht aber auch darum, diese dunklen Seiten der europäischen Geschichte mit den typischen Steampunk-Elementen in Einklang zu bringen. So wartet nicht nur das oftmals ergreifende Bild geknechteter Gebiete und Bewohner auf uns, sondern auch interessante Erfindungen, merkwürdige Maschinen und jede Menge altertümliches Flair.


André Geist etwa erzählt uns in „Die letzte Vorstellung“ von einem genialen Erfinder und dessen Mitarbeiter, die das Fest des indischen Maharadscha mit ihrer Darbietung vor den Augen der Kolonialherren untermalen sollen. Doch dann reckt auch hier der Widerstand sein Haupt.

Anja Bagus entführt uns in „Piraten!“ nach Hinterindien, eine Region, die von Freibeutern der Meere heimgesucht wird. Ein örtlicher Fürst hat für die dauerhafte Ausschaltung der Piraten eine Belohnung ausgesetzt - Erfinder und Glücksritter aus aller Herren Länder machen sich auf den Weg auf das Archipel.

Ann-Kathrin Karschnik entführt uns in „Der Brief des Lordprotektors“ in die Gefangenenkolonie nach New South Wales, wo wir einen ebenso findigen wie skrupellosen Lordprotektor kennenlernen.

Chris Schlicht berichtet uns in „Der Harvester“ von einer Erfindung, die den Sklaven die Arbeit an den Kautschuk-Pflanzen abnehmen soll. Der Harvester, der durch Belgisch-Kongo streift, kann aber noch weit mehr: Straßen verlegen, Edelsteine suchen und fördern und Menschen auslöschen.

Ein Luftschiff stürzt über dem Dschungel von Venezuela ab, mit an Bord ein Organist und seine Dampforgel. In Vanessa Kaisers & Thomas Lohwassers „Der Klang des Himmels“ begleiten wir den Überlebenden bei dessen Tod auf Raten, der ihm von wilden Stämmen der Orinoco-Indianer droht.

Kristina Lohfeldts „Die flüsternde Sonne“ berichtet uns von einem bei einem wissenschaftlichen Versuch verschwundenen Kind - und der Suche der Mutter nach ihrer Tochter.

In Marco Ansings „Der Metalldrache Chinas“ lernen wir einen findigen Reporter kennen, der bei einem Empfang der Chinesen den Botschafter doubeln soll. Dass er allerdings gleich einen Anschlag auf die neue Erfindung der Chinesen vereitelt, war vom Geheimdienst nicht vorgesehen.

Was wartet wohl nicht alles an sensationellen Entdeckungen in der Antarktis? In Niklas Peineckes „Vom Aufstieg der Lurche“ findet das kaiserliche Expeditionskorps Überbleibsel aus der Urzeit - gut gefroren und nach dem Auftauen auch höchst agil. Doch wo hört das Tier auf, wo beginnt intelligentes Leben und wie kann man eine Katastrophe verhindern - Fragen, die sich dem entsandten Biologen stellen.

Was wäre, wenn menschlicher Forschungsgeist zu weit gehen würde, wenn die Welt selbst gegen ihre Schöpfung aufstehen würde, um Schlimmeres zu vermeiden? Eine Antwort gibt Peter Hohmann in „Das Blut der Welt“.

Stefan Cernohuby stellt uns in „Das Wüstendampfschiff“ einen jungen, arabischen Erfinder vor, der eigentlich nur Freiheit und Respekt sucht, von den Briten aber gnadenlos ausgenutzt wird.

In Thorsten Küpers „Tee auf Taniwha“ begegnen wir einem, was sage ich, dem Pazifisten schlechthin. Um die Kriegstreiber, ja den Krieg ein für allemal auszuschalten, ist diesem jedes Mittel, auch eine unheilige Allianz, recht-

Samoa ist der Ort, an den uns Vincent Voss in „Der Gott und die Maschine“ entführt. Hier versucht ein Wissenschaftler den Mittelpunkt der Erde zu erreichen - und dies nicht zum Wohle der Menschheit.


Abwechslungsreich, überraschend und stilistisch solide präsentieren sich die Erzählungen in diesem Band. Insbesondere die Beiträge von Ansing, Peinecke und Küpers wussten atmosphärisch wie inhaltlich überraschend zu überzeugen. Insgesamt gesehen eine interessante, weil eben einmal nicht dem Üblichen folgende Anthologie, wobei ich mir manches Mal gewünscht hätte, dass die Verfasser die dunklen Seiten des Kolonialismus noch deutlicher beleuchtet hätten.