Marcus Gärtner (Hrsg.): Das ist ja wohl der Horror! - Angst- und Bangegeschichten (Buch)

Marcus Gärtner (Hrsg.)
Das ist ja wohl der Horror!
Angst- und Bangegeschichten
Titelbild: Rudi Hurzlmeier
Rowohlt, 2017, Taschenbuch, 220 Seiten, 10,00 EUR, ISBN 978-3-499-27343-8 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Uwe Voehl

Das titelgebende Wortspiel, der Untertitel und auch das glänzende Cartoon-Cover von Rudi Hurzlmeier assoziieren es schon: So ganz ernsthaft kann es um diese Sammlung nicht bestellt sein! Ist es auch nicht, beschert bei allem Spaß aber auch genügend Gänsehaut.


So gleich am Anfang in Heinz Strunks „Schwarzes Loch“. Vielleicht kennen Sie das auch: Wo hat man denn die Brille hingelegt, die man plötzlich nicht mehr wiederfindet? Und dann auch noch die Zahnbürste? Auch in der vorliegenden Story fängt es mit dem Verschwinden von Kleinigkeiten an, die sich jedoch zum echten Horror entwickeln, als ein Reisender in einem Hotel eincheckt.
Man könnte die Geschichte auch als Parabel auf schleichende Demenz betrachten. Auf jeden Fall aber ist sie höchst beunruhigend, wobei sich der auf sanften Sohlen daherkommende Horror auf gerade nur mal 9 Seiten entfaltet!

Kirsten Fuchs’ „Rosa Mantel“ ist eine Geschichte, die mir gleich wieder entgleitet - genauso wie die verwirrten Erinnerungen der Protagonistin. Auch hier spielt sich der Horror, wenn man es denn so nennen will, eher im Kopf der Frau ab, erreicht aber nicht die Intensität der ersten Geschichte.

In die gleiche thematische Kategorie gehört Doris Knechts „Rot steht mir nicht“: Eine Frau sieht ihre Doppelgängerin, die nach und nach ihre Stelle einnimmt - bis zu einer ultrabösen Pointe.
Diese Geschichte gehört zu den besten Storys in der Anthologie, weil sie im Gegensatz zur gerade genannten eine lineare Story erzählt, den Leser mitnimmt und vor allem die Protagonistin nachvollziehbar über ihre Konfrontation mit der Un-Wirklichkeit räsonieren lässt.

Kafkaeske Phantasie und alltägliche Realität vermischen sich auch in der Wahrnehmung der Annelene Borsig, von der uns Frank Schulz in das „Das Unheimchen“ erzählt. Jene Annelene, geborene Sonne, Witwe, 62 Jahre alt, hat eine Phobie vor Insekten. Ausgerechnet im noblen Spa glaubt sie, nachts von dem Zirpen eines Heimchens geweckt zu werden.
Diese Geschichte macht großen Spaß und ist in meisterlichem Stil verfasst. Die Beschreibung des Spas und seiner schrulligen Gäste erinnern mich an Thomas Manns „Zauberberg“, aber auch an Erich Kästners „Drei Männer im Schnee“. Nur der vielleicht etwas zu mysteriös gestaltete Schluss lässt mich etwas rätselnd zurück, gilt der mit dem Erich-Remarque-Ring ausgezeichnete Autor doch als „Mann mit dem Gespür für die literarische Pointe“. Allein wegen dieser - übrigens längsten! - Geschichte lohnt der Kauf des Buches.

Jenny Zyklas „Souterain“ gehört dagegen zu den Geschichten, die ich schon als Kind nicht mochte: Das Übernatürliche erfährt am Ende eine an den Haaren herbeigezogen rationale Erklärung. Hier ist es ein in die Jahre gekommener Gothic-Gruftie, der plötzlich Stimmen aus seinem im Schlafzimmer deponierten Grabstein hört…

Neben Heinz Strunk dürfte Ralf König zu den bekanntesten Autoren der Sammlung gehören. Zum Glück erwartet uns kein prallschwänziger Homo-Comic, sondern eine „Dichtung des Schreckens“.
Die ist ganz vergnüglich geraten, erinnert aber eher an Kinderreime: „Nebel wabert überm Sumpfe/Da, an morschen Baumes Stumpfe/liegt, im dunklen Schlamm versunken/eine Leiche, die ertrunken!“ Das Ganze ist eher lustig als gruselig, die dazugehörigen Zeichnungen ebenso.

Das lässt sich auch von Sven Strickers „Ein hoffnungsloser Fall“ sagen. Zunächst - im realistischen Teil der Geschichte - funktioniert sie noch sehr gut: Ein seit Langem verheiratetes Ehepaar, das einander überdrüssig ist, ohne die rechten Worte zu finden. Doch der „phantastische“ Teil ist eher grotesk und hat trotz zombiehaft wiederkehrender Ehefrau wenig mit Horror zu tun. Ein Beispiel dafür, dass es eben so nicht funktioniert, Gänsehaut zu erzeugen.

„Schweinsnacht“ spielt in der Eifel, in einem jener Orte, in der „die Jungen mit Mofas im Kreis fahren, die Mittelalten die Böden mit Gift tränken und die Alten hinter den Gardinen lauern“. Die Geschichte, in der eine Möchtegern-Metal-Band ausgerechnet in besagter Schweinsnacht einen jener gerade besagten Orte ansteuert, ist Splatter pur und nebenbei sehr vergnüglich zu lesen! Kaum zu glauben, dass der Autor, Amselm Neff, vergleichende Religionswissenschaften studiert hat. Allerdings schrieb er seine Abschlussarbeit über zeitgenössischen Satanismus. Das hatte offensichtlich Folgen. Siehe diese Story.

An Tex Rubinowitz’ Geschichte „Der Mann im Wald“ werden sich die Geister scheiden - genau wie an dem Autor selbst. Ich halte die Story um einen mit schweren Brandwunden verletzten Mann für die schlechteste im ganzen Buch - merkwürdigerweise liest sie sich am grausigsten und bleibt länger als gewollt haften. Der Autor ist Ingeborg-Bachmann-Preisträger und Witz-Zeichner. Sehr aufschlussreich ist ein Artikel über seine Arbeitsweise des „Copy and Paste“ aus Wikipedia auf faz.net: „Plagiarismus, getarnt als Recherche“.

Dafür ist Till Raethers „Machst du Witze“ umso origineller und auch vergnüglicher zu lesen - bis zum folgerichtigen bitterbösen Schluss. Es geht darum, dass ein Mann immer dann, wenn er an Witze denken muss, diese auf brutale Weise wahr werden („Was machen die Belgier, wenn sie ein Kind wollen?“ - „Sie graben sich eins aus.“). Sicherlich eines der Highlights des Buches!

Eine Psycho-Story im wahrsten Sinne des Wortes und somit eher dem Krimi-Genre zugeordnet ist „Die sechste Krankheit“ von Dirk Stermann. Eine sehr böse Geschichte mit einer noch böseren Pointe um eine leukämiekranke junge Frau.

Ebenso bitterböse und reichlich bizarr kommt Thomas Gsellas „Neue Köpfe für Mama und Papa“ daher, in der ein Kleinkind seine Eltern umbringt - aber: „Natürlich nur im Spiel.“ Ansonsten weist die Geschichte leider gleich zu Beginn einen krassen Logikfehler auf, denn wie bringt besagter Vierjähriger es fertig, seine Eltern zu überreden, den Kopf in den vorgeheizten Backofen zu stecken?

Einen Tiefpunkt stellt in meinen Augen leider der letzte, und sehr langweilige, Beitrag, „Einstimmung“ von Georg Klein, dar. Der Sinn der Geschichte erschloss sich mir auch nach zweimaliger Lektüre nicht völlig.


Fazit: Die wenigsten Geschichten erfüllen den Anspruch, „Angst- und Bangegeschichten“ zu sein. Und auch der Waschzetteltext auf der Rückseite („Gruseliger geht’s gar nicht“) ist wohl eher parodistisch gemeint. Okay, der Titel selbst mit seinem augenzwinkernden Wortspiel und auch der Umschlagtext, der davon spricht, dass „sich literarische Autoren und Humoristen“ (zum Beispiel aus dem Umfeld der „Titanic“) versammelt haben, deutet in die angestrebte Richtung des Herausgebers. Der selbstgewählte Anspruch, „die Leserin, dem Leser für eine kurze Zeit aufs Angenehmste das Fürchten zu lehren“ wird jedoch nicht immer erfüllt. Es bleiben eine Handvoll Geschichten, die auf die eine oder andere Weise - Horror hin oder her - tatsächlich lesenswert sind, wobei die von Heinz Strunk, Doris Knecht, Anselm Neft, Till Raether und vor allem Frank Schulz sicherlich herausragen.