S. G. Browne: Anonyme Untote – Eine Zombie-Liebesgeschichte (Buch)

S. G. Browne
Anonyme Untote
Eine Zombie-Liebesgeschichte
(Breathers)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Frank Dabrock
Titelillustration von S. Freischerm
Heyne, 2010, Taschenbuch, 384 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-453-43496-7

Carsten Kuhr

Das Leben. Egal ob es lange dauert oder nur kurz, ob der Abgang schmerzhaft oder schnell geschieht, immer steht am Ende der große Gleichmacher: Gevatter Tot. Danach kommt das große Unbekannte. Entweder wartet das Nichts auf einen, oder, ganz nach der jeweiligen Religion, ein wie auch immer geartetes Leben nach dem Tod, ja vielleicht gar eine Wiedergeburt – denkt man zumindest.

Wenn man dann aber natürlich fachmännisch frisch einbalsamiert in einen hautengen Gummianzug gezwängt und mit Formaldehyd vollgepumpt bei seiner eigenen Beerdigung wieder zu sich kommt und von den Toten aufsteht, dann hat man ein Problem. Ich meine nun nicht etwa den etwas penetranten Körpergeruch, den die natürliche, wenn auch vom Formaldehyd verzögerte, Verwesung so mit sich bringt, und auch nicht die mangelnden Karriereaussichten. Nein, weder das, noch die brachliegenden sozialen Kontakte, sondern die Stundentenverbindungen, die straffrei Jagd auf die Zombies machen. Als Aufnahmeprüfung muss jeder Student einem Zombie ein Gliedmaß abreißen. Selbst wenn man dabei erwischt werden sollte, und das Auge des Gesetzes schaut da zumeist sehr wohlwollend in eine andere Richtung, liegt lediglich eine Ordnungswidrigkeit vor, haben die spontan Wiederbelebten doch ihre Menschen- und Bürgerrechte verloren.

Andy ist einer dieser bedauernswerten Untoten. Einmal in der Woche trifft er sich mit einigen Leidensgenossen bei den Anonymen Untoten, bespricht (naja, nachdem der Einbalsamierer seinen Mund zugenäht hat bedient er sich zur Kommunikation einer Tafel) mit seinen Leidensgenossen seine Lage. Seine Eltern haben seinen langsam vor sich hin faulenden Körper in den Weinkeller verbannt, seine Frau starb bei dem Unfall, der ihm seine menschliche Existenz kostete und blieb im Grab, während seine Tochter nicht wissen soll, dass ihr Vater wieder untot durch die Straßen eines südkalifornischen Kaffs wankt. Als die Atmenden aber seine neue Liebe (wie kann es anders sein: natürlich eine Artgenossen) töten, ist endgültig Schluss mit lustig. Jetzt wird der Fehdehandschuh aufgegriffen, wird zurückgeschlagen und sich am köstlichen, lebenden Menschenfleisch gelabt....

In der letzten Zeit bricht eine wahre Zombie-Invasion auf den Leser herein. Waren die Topics mit den wandelnden Toten bislang eher zumeist billiggemachten Filmen vorbehalten, so entdecken Autoren und Verlage die Wiedererweckten nun als ihr Motiv.

Vorliegender Roman berichtet dem Leser eine ebenso anrührige, wie bitterbös-ironische Geschichte. Unser Ich-Erzähler entlarvt dabei in der Haut eines der Untoten den Mensch als das was er nun mal ist -- ein perverser Jäger, der sich zur eigenen Erbauung und Befriedigung der Machtinteressen gnadenlos auf Schwächere stürzt und diese piesackt und missbraucht. Sonst so hochgehaltene Werte wie Mitgefühl, Toleranz und Liebe, auch gegenüber Gottes anderen Geschöpfen auf der Erde, gilt für die, die keine Lobby, keine Fürsprecher und damit keine Rechte haben, nicht. Merke, wer keinen Einfluss hat, und das heißt, wer kein Geld besitzt, der kann und wird ungestraft gefoltert und getötet. Niemand interessiert sich für ihn, die eigenen Verwandten wenden sich von dem Andersartigen ab, alles was Mühe macht wird abgeschoben, aus den Gedanken verbannt, negiert und vernachlässigt. Tagtäglich sehen wir dies in unserer abendländisch-christlichen Gesellschaft anhand der Alten und Pflegebedürftigen, die in Heime abgeschoben werden, vernachlässigt ihrem einsamen Leiden und Sterben überlassen werden. In unserer Leistungsgesellschaft gilt nur das Erfolgsstreben, der direkte Weg zu Macht und Reichtum, und alles was da stört, die Schwachen, die Kranken, sie werden gnadenlos zur Seite geschoben. Diese Einstellung hat Browne sehr geschickt in seine spannende Geschichte um Andy verpackt aufgegriffen. Immer wieder hält er der ach so mitfühlenden Gesellschaft einen Spiegel entgegen, entlarvt die perverse Befriedigung, die viele aus der Unterdrückung von Schwächeren ziehen. Ebenso packend wie bitterböse sind auch die Therapiesitzungen, die unser Zombie und sein Therapeut abhalten. Während Andy mehr oder minder sprachlos dasitzt, breitet der Therapeut sein Leben und seine Sorgen vor ihm aus, wird dessen Hilflosigkeit immer deutlicher. Daneben portraitiert er auch sehr einfühlsam die zarte Pflanze der gegenseitigen Zuneigung und Liebe, die sich zwischen den beiden Zombies Andy und Rita entwickelt. Das hat Drive, das wirkt auf den ersten Blick erheiternd und spaßig, bis einem dann das Lachen im Halse steckenbleibt.