Ania Ahlborn: Bruder (Buch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Freitag, 03. August 2018 10:35

Ania Ahlborn
Bruder
(Brother, 2015)
Übersetzung: Simona Turini
Titelbild: Arndt Drechsler
Festa, 2018, Paperback, 330 Seiten, 13,99 EUR, ISBN 978-3-86552-603-8 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Jan Niklas Meier
Mitten im US-amerikanischen Hinterland steht das alte Farmhaus der Familie Morrow. Hier, inmitten von Wald und Kornfeldern, geht die Familie einer dunklen Beschäftigung nach: Die Morrows ermorden Frauen. Das ist ein Familiengeschäft, könnte man sagen. Michael allerdings, einer der Morrow-Söhne, sieht das Betätigungsfeld seiner Verwandtschaft kritisch, am liebsten würde er aussteigen, würde damit aufhören, seiner Mutter beim Töten von Menschen zu assistieren. Doch so einfach ist das nicht: Michael steht unter dem Einfluss seines Bruders Rebel, den er gleichermaßen bewundert, hasst und fürchtet.
Wer beim Plot des Buches an einen gewissen Film von Tobe Hooper denkt, liegt gar nicht mal so falsch, tatsächlich erinnert Einiges in Ahlborns Roman an „The Texas Chainsaw Massacre“. Aber „Bruder“ ist nur auf einer Ebene Splatter, zeigt nur auf einer Ebene, wie verrückte Hillbillys den prototypischen amerikanischen Mittelstand in Scheiben schneiden.
Eigentlich erzählt die Autorin eine sehr viel tiefergehende Geschichte, in deren Mittelpunkt Michael steht. Letztlich erzählt „Bruder“ eine überaus deprimierende Geschichte über familiäre Gewalt, über Macht und Abhängigkeit, über die Ohnmacht, ein verhasstes Leben hinter sich zu lassen. Michael will aussteigen, er will weg von der mordenden Sippe, ein Mädchen kennenlernen, lieben und sich irgendwo ein neues Leben aufbauen. Doch der Rest der Morrows steht ihm im Weg: Da ist sein Vater, der traumatisierte Vietnam-Veteran, der als Inkarnation einer Krise amerikanischer Männlichkeit mehr schlecht als recht versucht, seine Familie zusammenzuhalten und dabei billigend in Kauf nimmt, dass seine Frau ihre Kinder schlägt und Menschen ermordet. Da ist seine Schwester, die besonders unter der Gewalt der Mutter leidet, und für die er vielleicht mehr als nur geschwisterliche Liebe empfindet. Da ist seine Mutter… nun, die ermordet Frauen. Und tut andere schlimme Dinge. Zu guter Letzt ist da sein Bruder Rebel, der scheinbar willige Handlanger seiner Mutter. So willig, dass er trinkt. Rebel tut das, was seine Mutter ihm befiehlt, selbst wenn es ihn tief in seinem Innern anwidert. Zuflucht sucht Rebel in der Whiskeyflasche. Und in der Gewalt. Zorn, Hass, Liebe, kurzum: Alle Gefühle, die er für seine Mutter empfindet, überträgt Rebel auf Michael - sicher kein guter Ausgangspunkt für ein glückliches Miteinander.
Ania Ahlborn, ein Neuzugang bei Festa, schreibt einen unglaublich starken Psycho-Thriller. „Bruder“ ist dramatisch, deprimierend und stellenweise widerwärtig - dennoch legt man das Buch nicht aus der Hand, dafür ist es viel zu gut. Die Autorin liefert bis zur letzten Seite einen Roman der Extraklasse ab.