Elektra 1: Blutlinien (Comic)

W. Haden Blackman
Elektra 1
Blutlinien
(Elektra 1-5, 2014)
Übersetzung: Carolin Hidalgo
Titelbild: Bill Sienkiewicz
Zeichnungen: Mike del Mundo
Panini, 2015, Paperback mit Klappenbroschur, 124 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-95798-334-3

Rezension von Elmar Huber

Um New York zumindest eine Zeitlang hinter sich lassen zu können, bittet Elektra die Auftragsvermittlerin Matchmaker um einen Job. Im Auftrag eines unbekannten Klienten soll sie Cape Crow finden, eine Legende unter den Assassinen. Cape Crow gilt als Verräter, da er einst andere Killer tötete, ihre Aufträge übernahm und die Bezahlung einstrich. Die Mord-Liga hat ihn erfolglos gejagt, doch seitdem ist Cape Crow verschwunden.

Jetzt ist eine Spur von ihm in Neuseeland aufgetaucht. Doch Elektra ist nicht die Einzige auf der Spur des Killers. Auch die Überlebenden der Mord-Liga, Scalphunter und Lady Bullseye, sind auf der Jagd nach dem Verräter. Elektras schlimmster Konkurrent ist jedoch der wahnsinnige Bloody Lips, der die Gedanken, Gefühle und Fähigkeiten seiner Opfer übernimmt, indem er Teile von ihnen isst.


Auch „Elektra“ hat unter der „Marvel NOW!“-Flagge eine eigene, kurzlebige Serie bekommen, was umso bedauerlicher ist, da die ‚B-Serien‘ dieser Periode einfach die interessanteren, weil experimentierfreudigeren sind (siehe „Black Widow“, „Moon Knight“).

Zuerst fällt das spektakuläre Artwork von Mike del Mundo auf, der auf den ersten Seiten eine regelrechte Schlachtorgie Elektras an Agenten der Hand als furiosen Ballett-Tanz der Killerin inszeniert. Außerdem wird eine kunstvolle Panel(auf)teilung und -anordnung gepflegt, die immer wieder fließend in die jeweiligen Szenen eingeflochten ist. So sind es beispielsweise Blutfontänen, Wasserströmungen, Luftblasen, Lianen oder Elektras rote Bänder, die die Bilder teilen. Del Mundos Zeichnungen selbst sehen aus wie richtige Gemälde, ähnlich wie die Bilder von Kollege Mark Texeira („Punisher“, „Black Panther“); die Farbgebung und das Design einzelner Elemente erinnert an Don Lawrence („Trigan“, „Storm“).

Passend dazu ist auch Autor W. Haden Blackman einer, der sich offenbar in einem Fantasy-Umfeld wohler fühlt als im Thriller. So wird in zwei, drei Sätzen kurz erklärt, warum Elektra New York verlassen will, damit Blackman anschließend kreativ voll aufdrehen kann. Denn Elektras Verfolgung von Cape Crow führt sie gemeinsam mit Matchmaker und deren geheimnisvollem Auftraggeber, der sich als Cape Crows Sohn entpuppt, in sehr phantastische Gefilde. Der Weg reicht von Marvels „Monsterinsel“ über die geheimnisvolle chinesische Unterwasserstadt Shicheng bis in die Antarktis.

Dabei merkt man deutlich, dass Blackman unmittelbar vorher DCs „Batwoman“ geschrieben hat, wo er Kathy Kane ebenfalls aus der DC-Tretmühle herausgelöst und mit viel Fantasy (zum Beispiel ein Team-up mit Wonder Woman) und Mystery angereichert hat, sodass sich dort sogar ein gewisses „Vertigo“-Feeling einstellte. Ebenso verhält es sich nun mit Blackmans „Elektra“-Run, der deutlich phantastische und sogar traumhafte Züge aufweist.

Neben einigen bekannten Gegenspielern, die Elektra ans Leder wollen, hat Blackman mit Bloody Lips einen neuen Gegner erfunden, der erhebliches Potenzial mitbringt. Er übernimmt Kräfte und Fähigkeiten von Mensch und Tier, indem er Teile von ihnen verspeist. So verfügt Bloody Lips zu Beginn schon über die Stärke und Zähigkeit eines Nashorns, über die Fähigkeit im Dunkeln zu sehen, und so weiter. Mit Stücken von Scalphunter und Lady Bullseye nimmt er auch deren Fähigkeiten, Wissen und Erfahrungen auf, was ihn für Elektra immer gefährlicher macht. Doch auch Cape Crow und sein Sohn bieten noch einige Überraschungen, die Elektras Auftrag für die Killerin letztlich zu einer Reise ins eigene Innere machen.

Als Bonus ist in dem Paperback eine Variantcover-Galerie mit Motiven von Bill Sienkiewicz, Skottie Young, Chris Samnee, Amanda Conner und Tim Sale enthalten. Die regulären Cover von Mike del Mundo sind ebenfalls abgedruckt.

Definitiv darf man hier keine Frank Miller-„Elektra“ erwarten, doch bietet W. Haden Blackman eine reizvolle Neu-Definition der Figur, die Mike del Mundo mit einem außergewöhnlich kunstvollen Artwort ergänzt.