Robert Heymann: Wunder der Zukunft - Der rote Komet und drei weitere Erzählungen (Buch)

Robert Heymann
Wunder der Zukunft - Der rote Komet und drei weitere Erzählungen
Verlag Dieter von Reeken, 2018, Paperback mit Klappenbroschur, 316 Seiten, 20,00 EUR, ISBN 978-3-945807-21-7

Rezension von Carsten Kuhr

Robert Heymann ist heute selbst dem an der Unterhaltungsliteratur des Jahrhundertwechsels um 1900 interessierten Leser kein Begriff mehr. Der Autor, über dessen Leben wie über dessen Werk kaum mehr etwas bekannt ist, zählte damals zu den produktivsten Schriftstellern seiner Zeit. Dabei schrieb er Kriminal-Romane wie Arzt-Titel und wagte auch einige Ausflüge in die damals noch junge Phantastik. Heute bekommt man, mangels entsprechender Neuauflage, seine wenigen diesbezüglichen Versuche auch antiquarisch kaum mehr angeboten.

Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Verlag die Texte zwar auf hochwertiges und damit teures Büttenpapier drucken ließ, den broschierten Umschlag jedoch auf billiges, dünnes Papier. Wenn dieser, was nur allzu oft beim ersten lesen unweigerlich passierte, kaputtging, wanderte gleich die Broschüre insgesamt in den Müll. Selbst die Verfolgungen der Schund- und Schmutzliteratur durch die oftmals selbsternannten Sittenwächter überstanden die Titel unbemerkt, einfach deshalb, da sie kaum mehr aufzufinden waren.

Dabei, und dies zeigt uns Lars Dangel ins seinem informativen Nachwort mustergültig auf, sind die vier kurzen Romane auch heute noch durchaus lesbar, bieten jeden Menge, fast schon zu viele phantastische Ideen und unterhalten versiert und routiniert. Natürlich sind Schwächen offensichtlich: Das Verhalten der Protagonisten ist wenig motiviert, die Meisten der Auftretenden verfallen im Verlauf der Geschehnisse dem Wahn, die innere Logik bleibt in der Regel auf der Strecke - von Charakter-Entwicklung mal ganz zu schweigen.

Doch, und auch hier ist Dangel entschieden zuzustimmen, kann weder den Plagiatsvorwürfen Franz Rottensteiners in Hinblick auf die Übernahme von Motiven H. G. Wells’ noch den allgemein geäußerten Beurteilungen, dass Heymann sexistisch verwerflich schrieb, zugestimmt werden.

Sicherlich geht es in den Romanen, für die Zeit ihrer Entstehung ungewohnt offen(herzig) und auch gewalttätig zu. Nackte Tatsachen, das Aufdrängen des Möchtegern-Liebhabers im Bemühen, den eigenen Mund auf den der unwilligen Angebeteten zu pressen, zu Tode fallende, letztlich zerschmetterte Körper - das sind für die Ära ungewohnt deftige, brutale ja schockierende Beschreibungen. Heutzutage aber wirken diese eher beschaulich und zahm im Vergleich zu dem, was uns die Autoren unserer Tage oft zumuten.

Die Stärken der Romane liegen, neben der rasant ablaufenden Handlung, unzweifelhaft in den vielen Ideen, die der Autor in diese hineingepackt hat. Und wieder darf ich hier Dangel entschieden zustimmen, hier präsentiert sich uns ein Verfasser, der seinem Leser einen reichen Strauß an Einfällen offeriert. Da schrauben sich Hochhäuser in den Himmel, fahren elektrisch betriebene Busse in 300 Metern Höhe über Berlin, wird Deutschland durch Gezeitenkraftwerke mit Elektrizität versorgt, es fahren Einschienen-Untergrundbahnen und elektrisch betriebene Karossen durch das Berlin der Zukunft. Organtransplantationen, Fernwärme und Seelenwanderung, Fabrikanlagen tief unter der Erde, unsichtbar machende Farbe - der Reigen der Ideen scheint unerschöpflich.

Ursprünglich waren gleich drei Verleger damit beschäftigt, die vergessenen Romane 2017, dem Jahr, in dem die Rechte frei wurden, dem Interessierten wieder anzubieten. Nachdem die Edition CL leider aus gesundheitlichen Gründen pausieren muss, und Gerd-Michael Rose aufgrund anderer Publikationen ausgelastet war, übernahm Dieter von Reeken die Herausgabe kurzfristig und gewohnt zuverlässig.

So kann man nach Jahrzehnten, in denen die Werke nicht zugänglich waren, endlich wieder mitverfolgen, wie letztlich wahnsinnige Wissenschaftler ihre Erfindungen dazu nutzen, um ihre egoistischen Wünsche in die Tat umzusetzen, wie Militaristen und Unternehmer ihre Ziele gnadenlos verfolgen, aber auch, wie der Rechtsstaat der Zukunft effizient und zeitnah Urteile findet, fällt und vollstreckt.

So fügt sich vorliegendes Buch bestens in die bei DvR erschienen Titel ein, bietet ein buntes Panoptikum des vermeintlich Zukünftigen, das neben skurrilen Einfällen auch so manche Idee, die mittlerweile in die Realität umgesetzt wurde vorweg greift, und unterhält ein Jahrhundert nach der Erstveröffentlichung noch packend.