Achim Hildebrand & Michael Schmidt (Hrsg.): Zwielicht 11 (Buch)

Achim Hildebrand & Michael Schmidt (Hrsg.)
Zwielicht 11
Titelbild: Björn Ian Craig
2018, Taschenbuch, 324 Seiten, 12,50 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Zwischenzeitlich ist „Zwielicht“ das einzige noch erscheinende Horror-Magazin im Printformat. Und, das kann man den Herausgebern nicht hoch genug anrechnen - das Magazin in Taschenbuchform erscheint pünktlich und regelmäßig. Das ist gerade für ein Projekt, das von Fans für Fans gemacht wird, hinter dem kein Großverlag mit seinen personellen wie finanziellen Ressourcen steckt, bemerkenswert und anzuerkennen. Mehr noch, den Herausgebern gelingt es immer wieder, eine illustre Anzahl von herausragenden, jede auf ihre Art bemerkenswerte Geschichten und Artikel zusammen zu tragen.

Hier merkt man den Herausgebern an, dass sie sich bestens in der Materie auskennen, dass sie sich die Mühe machen, aus der Vielzahl der Einsendungen und Vorschläge immer die besten Storys herauszusuchen. Man kann sich das als Leser kaum vorstellen - auf jede Novelle oder Kurzgeschichte, die letztlich im Band Aufnahme findet, kommen bestimmt ein Dutzend Einsendungen, die auf die eine oder andere Art nicht für eine Publikation geeignet sind, die man als Editor aber trotzdem lesen, kritisch begutachten, diskutieren und letztlich begründend absagen muss.


Inhaltlich wartet erneut ein bunter Strauß an Preziosen auf den Leser.

Eine mehr als rare Erstpressung des legendären Led-Zeppelin-Albums steht zum Verkauf. Mehr noch, nicht wirklich die Erstpressung, sondern eine auf nur 4 Exemplare limitierte Vorabpressung soll für 100 EUR über den Couchtisch gehen - da kann doch etwas nicht stimmen? Und wirklich, scheint Robert Plant, der ein bekanntes Faible für Aleister Crowley hatte, hier seine schwarzmagische Spuren hinterlassen zu haben; ich sage nur, „Stairway to Heaven“ rückwärts gespielt.

Eine ältere Liebhaberin von Liebesromanen lässt sich ihre bevorzugte Lektüre immer ausliefern. Als der Bote dieses Mal Nachschub an Lesematerial bringt, entdeckt er in der Laube ein alchemistisches Labor, in dem die wunderliche Alte die Essenz der Bücher extrahiert - kein Wunder, wenn die Titel nach ihrem Platz auf der Bestsellerliste immer ganz schnell aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden.

Ein irischer Radiomoderator hat in seiner Nachtshow dieses Mal das Thema „das Böse“ auserkoren - und erhält einen Anruf einer in ihrer Kindheit gemobbten und missbrauchten jungen Frau; warum aber hat sie die Täter nie angezeigt?

Mitten in der Nacht ist selbst in einer Bar nicht mehr viel los. Die Bedienung ist diesmal ganz alleine in der Lokalität - und bewundert ihr im Müll gefundenes Amulett im Spiegel. Wer nur und aus welchem Grund wirft ein solches Schmuckstück weg? Kurz darauf weiß sie die Antwort auf ihre Fragen.

Ein Metzger der im Schlachthof arbeitet hat ein abgebrühtes Gemüt. Doch dann wird er versehentlich in einem Kühlwagen eingeschlossen und erlebt mit, wie es dem dort eingepferchten Vieh aber auch Flüchtlingen so ergeht.

Mittlerweile haben wir uns an Amokläufe an Schulen gewöhnt. Doch was macht dies aus den Opfern, die die Taten miterleben mussten, aber überlebt haben? Eine Lehrerin bekommt zwei so traumatisierte Mädchen in ihre Klasse; Mädchen, die den Tod gesehen, ihm begegnet sind - wie die Lehrerin ganz persönlich feststellen muss.

Ein rotes Sofa spielt im nächsten Beitrag eine wichtige Rolle, entführt es doch einige derer, die auf ihm Platz nehmen in die Vergangenheit oder Zukunft.

Ein Bild einer gefeierten Stummfilm-Diva hat gar seltsame, um nicht zu sagen tödliche Auswirkungen auf die, die es besitzen - denn die schwarzen Augen sind überall.

Auf der Suche nach dem perfekten Bild stößt ein preisgekrönter Fotograf auf eine alte Kamera - und erfährt, dass auch das perfekte Bild seinen Preis hat… wird er ihn bezahlen?

Spinnen sind wahrlich nicht Jedermanns Sache. Doch Wissenschaftler können den Tieren, noch dazu einer in Norwegen gefundenen unbekannten Art, sehr wohl etwas abgewinnen - auch wenn sie die Untersuchungen vor Rätsel stellen…

Die deutschen Kolonien in Afrika sind Kulisse des nächsten Beitrags. Etwas Uraltes, etwas, das Mücken und Insekten um sich schart und nicht erkannt werden will, treibt sich in den Plantagen der deutschen Herren herum - Etwas, das auf Rache aus ist, hat der Herrenmensch von ihm doch ein fotographisches Abbild geschossen…

Es folgt der längste und, in meinen Augen der faszinierendste Beitrag. Harald A. Weissen berichtet vom Leben eines Mannes, der sich der Forschung verschrieben hat. Schon früh testet er, ob und wie Tiere und später Menschen auf Situationen reagieren, was sie zum Leiden und letztlich zum Sterben bringt. Doch kann man, wie einst Frankenstein, das einstmals Lebendige wieder zu neuer Existenz führen und wenn ja, mit welchen Mitteln? Atmosphärisch dicht und garniert mit einem faszinierenden Protagonisten, sprachlich sehr gefällig und locker berichtet uns der Autor von dem Forscher, der auch abseits der etablierten Wissenschaft nach Lösungen sucht.

Algernon Blackwoods Beiträge sind zwischenzeitlich ein Muss in jeder „Zwielicht“-Ausgabe. Auch in dieser ist eine Geschichte des Briten enthalten, in der er uns von einem Paar erzählt, das sich an einem finsteren Weiher nach Generationen wiedertrifft. Erwähnt werden soll hier, dass ein Sammelband mit den Geschichten Blackwoods aus den „Zwielicht“-Bänden mit einer ergänzenden, exklusiven Story in Vorbereitung ist.

Den Abschluss des erzählerischen Teils steuert ein zu Unrecht vergessener Autor der Pulp Ära bei; er berichtet von einem Mann, der von all seinen Mitmenschen vergessen wird - ein wahrhaft angsteinflößender Gedanke.

Matthias Kaether, den wir von seinen fundierten Artikeln im „Zauberspiegel“ kennen und schätzen, berichtet dann von seinem bewundernswerten Plan, das Oeuvre zweier vergessener Pulp-Autoren (David Wright O’Brian und Yerxa) kostenfrei im Rahmen des Projekt Gutenberg wieder zugänglich zu machen - eine mehr als interessante Aufgabe  die Bewunderung verdient.

Michael Schmidt listet die einflussreichsten Werke des Genres auf - ich kann der Auswahl nur zustimmen. Ralf Steinberg bespricht dann kundig und ausführlich Henry James’ „The Turn of the Screw“, bevor sich Karin Reddemann dem Werk Anne Rices zuwendet. Ein Nachruf auf Christian Weis schließt das Magazin dann ab.

Die Storys in der Übersicht:
Thomas Stumpf: „Der Mann, der Jimmy Page kannte“
Abel Inkun: „Die Essenz des Veronesen
Gordon McBane: „The Hanky Panky Girl
Leander Milbrecht: „Phelesto“
Markus K. Korb: „80 Grad“
Carmen Maria Machado: „Abstieg“
Karin Reddemann: „Das samtrote Sofa“
Carl Denning: „Ein Porträt von Shirley Love“
Manuel Otto Bendrin: „Der perfekte Moment“
Matthias Schulz: „Beschreibung einer norwegischen Spezies von Theraphosidae sowie der mysteriösen Ereignisse im Rahmen ihrer Untersuchung“
Lea Reiff: „Adze“
Harald A. Weissen: „Eisberg Blues“
Algernon Blackwood: „Der Blutweiher“
David Wright O’Brien: „Ausstrahlung“