Charlaine Harris: Midnight, Texas (Buch)

Charlaine Harris
Midnight, Texas
(Midnight Crossroad, 2014)
Übersetzung: Sonja Rebernik-Heidegger
Heyne, 2018, Taschenbuch, 410 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-31910-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Charlaine Harris ist eine US-amerikanische Vielschreiberin mit starkem Hang zu Vampir- und Urban-Fantasy-Motiven, die mit der Serie „True Blood” großen Erfolg hatte. „Midnight, Texas“ ist der Auftakt zu einer neuen Serie von ihr, welche auch verfilmt worden ist. Sie beschreibt in dieser Serie die Bewohner einer kleinen Stadt in Texas, die alle auf ihre Art etwas ungewöhnlich sind.

 

Die Handlung beginnt mit dem Zuzug des jungen Manfred Bernardo, der als Hellseher über das Internet sein Geld verdient. Das Besondere an Manfred ist, dass er manchmal tatsächlich Dinge im Voraus weiß oder vorhersehen kann (so wie der legendäre Held in Cornell Woolrichs Meisterwerk „Die Nacht hat tausend Augen“, in der Verfilmung genial gespielt von Edward G. Robinson). Ansonsten beherrscht Manfred, initiiert dereinst durch seine inzwischen verstorbene Großmutter, die ihn gut unterrichtet hatte, sein Business perfekt und erzählt den Leuten über Internet bedeutungsschwangeren Larifari-Quatsch in so freien Formulierungen, dass jeder Passendes für sich interpretieren kann.

Auch die anderen Menschen in Midnight haben so ihre Talente und die wenigen Einwohner in der kleinen Stadt, die an einer Kreuzung im Nichts liegt (was bedeutet: „Am Arsch der Welt”), verstehen sich meist gut miteinander und fragen Neulinge nicht aus.

Manfred merkt schnell, dass er in eine freundliche, aber verschwiegene Gemeinschaft geraten ist, in der es niemand wundert, dass eine Hexe am Ort praktiziert und auch ein menschenfreundlicher Vampir sich hier niedergelassen hat, der auch einmal zu Kunstblut greift oder durch leichtes Absaugen von Lebensenergie, die keinen bleibenden Schaden hinterlässt, sein untotes Leben aufrechterhält.

Kitzelig wird die Situation, als eine Gruppe von US-amerikanischen Neonazis bei Manfreds Vermieter, dem örtlichen Pfandleihhausbetreiber Bobo, zudringlich wird. Diese sind auf der Suche nach einem Waffenversteck, welches angeblich Bobos Großvater, ein überzeugter Rassist und Faschist, dereinst angelegt haben soll. Als dann auch noch Bobos Freundin ermordet aufgefunden wird, wird den Bewohnern der Kleinstadt klar, dass ihr ruhiges Leben bald enden könnte, wenn sie nicht selbst den Täter aufspüren und damit die polizeilichen Ermittlungen im Keim ersticken.

Zwar wurden die Leichen der beiden aufdringlichen Neonazis, die Bobo bedroht hatten, inzwischen von den Bewohnern Midnights fachgerecht entsorgt, aber deren Verbündete geben ebenfalls so schnell keine Ruhe...


So weit so pittoresk. Dass sich hier magiebegabte Humanoide mit Neonazis anlegen, mag ja noch ein netter Plot sein, zumal diese Heinis mal tüchtig „auf die Fresse kriegen“ (und der Leser sich zurück lehnen, sich auf deren Niveau herab begeben und sagen kann: „Um die ist es ja nicht schade!”). Aber warum sollten diese Leute, die von einem stinkreichen Unsympathen angeführt werden, unbedingt nach der mysteriösen Waffenkammer suchen, wo sie doch in den USA leben? Hier kann man doch gegen Geld alles frei und legal kaufen, was das Herz des Menschenschlächters und Massenmörders begehrt! Nicht nur in Spezialgeschäften, nein auch im normalen Supermarkt gibt es den handlichen „Menschenlocher” für den Hausgebrauch. Damit erschließt sich leider der Plot der Geschichte dem intelligenten Leser nicht so ganz.

Vielleicht spielt Frau Harris (und das Buch stammt aus dem Jahre 2014, als Obama noch Präsident des Landes war) darauf an, dass zu dieser Zeit die schwersten Waffen nicht so einfach an jeder Straßenecke käuflich zu erwerben gewesen waren und die Neonazis zu blöd, sich diese illegal zu beschaffen?

Aber so ganz glaubhaft wirkt der Plot an dieser Stelle dann immer noch nicht (zumal der anführende Hassprediger der Rassisten offensichtlich sehr viel Geld sein Eigen nennt und somit alles selbst finanzieren könnte für den großen „Verteidigungsschlag”, wie dies bei Rechtsradikalen immer so schön heißt).

Große Stärken des Romans sind dagegen die interessanten, gut entwickelten Charaktere und die starke Atmosphäre der einsamen Kleinstadt an der wenig befahrenen Straße. Hieraus schöpft die ruhige und gediegene Erzählweise (hier ein Lob an die sehr flüssige Übersetzung von Sonja Rebernik-Heidegger) ihren ganzen Reiz, was leider etwas zulasten der Spannung geht.

Insgesamt ist das vorliegende Werk aber einer der üblichen Urban-Fantasy-Romane (mit Hang zu mittelalterlicher Ethik, wie gegen Ende der Geschichte leider klar wird!). Vielleicht etwas gediegener geschrieben und mit guten Charakterisationen versehen, unterhaltsam, amüsant; ein ideales Lesefutter für heimelige Abende in der vertrauten Wohnung. Nicht weniger, aber leider auch nicht mehr als mäßige Unterhaltung auf durchschnittlichem Niveau (und eben jenen ethischen Entgleisungen der Autorin, die ihre Protagonisten auch gerne mal zu Richtern und Henkern in einer Person macht). Kreativ, besonders und ideenreich geht zweifellos ganz anders. Aber wem das reicht und wer das Genre mag (und nicht länger nachdenken möchte über ethisch-moralische Grundwerte), der wird hier von der Autorin sicherlich gut bedient (genauere erklärende Ausführungen hierzu erlaubt die Spoilergefahr leider nicht! Aber wer das Ende gelesen hat, weiß eventuell was ich meine!).