Archangel (Comic)

William Gibson und Michael St. John Smith
Archangel
(William Gibson's Archangel, 2017)
Titelbild und Zeichnungen: Butch Guice, Alejandro Barrionuevo, Wagner Reis, Tom Palmer
Übersetzung: Michael Schuster und Falko Kurz
Cross Cult, 2017, Hardcover, 128 Seiten, 22,00 EUR, 978-3-95981-414-0

Rezension von Christel Scheja

William Gibson kennen die meisten vermutlich als einen der Väter des Cyperpunk. Gut dreißig Jahre nach seinem Durchbruch ist er natürlich immer noch so bissig wie früher und wagt sich diesmal sogar an ein Neuland für ihn - die Welt der Comic. Denn „Archangel“ hat keine literarische Vorlage und ist gleich für dieses Medium geschaffen worden.

 

Im Jahr 2016 hat ein Wissenschaftler die Möglichkeit geschaffen, die Geschichte zu verändern, ohne dass die eigentliche Zeitlinie zerstört wird. Das kommt dem diktatorisch regierenden Präsidenten Henderson natürlich sehr entgegen, denn so kann er mit der Vergangenheit herum experimentieren, was vor allem seinem Sohn und Vizepräsidenten gefällt.

Der geht sogar soweit, in einem dieser Splitter die Rolle seines Großvaters zu übernehmen und dadurch die Geschichte auf den Kopf zu stellen. Aber auch anderenorts sind Spezialisten am Werk, um die Geschichte der kriegsmüden Welt im Sommer des Jahres 1945 zu verändern.

Doch natürlich bleibt das Treiben nicht überall unbemerkt und ausgerechnet die britische Ausnahme-Agentin Naomi Givens kommt dem Geheimnis des überlebenden Piloten auf die Schliche und beschließt, seinen verrückten Erzählungen mehr Glauben zu schenken, als den Warnungen anderer Militärs und Agenten, die ihn für einen Irren oder Spion halten.


Die Geschichte fängt eigentlich sehr einfach an: Ein Team wird in die Vergangenheit und eine andere Realität geschickt, nichts deutet darauf hin, welche Wirklichkeit die ist, die die Leser kennen. Was sich daraus entwickelt ist ein packender SF-Thriller, der zwischen Henderson Junior,  seinen Machenschaften und dem Plan hin und her wandert, den der namenlose Pilot verfolgt, denn seine Agenda ist eine andere, als sich zunächst vermuten lässt.

Die Geschichte spielt all das aus, was man mit dieser Zeit in Verbindung bringt -  auf der einen Seite arbeiten Ost und West noch zusammen, um der Welt endlich Frieden zu bringen, auf der anderen beginnen sich schon die Fronten zu verhärten, und das zeigt langsam aber sicher unangenehme Auswirkungen.

Naomi Givens ist dabei den Lesern am nächsten. Sie wird sympathisch geschildert, ist aus ihrer Zeit heraus selbstbewusst, weltoffen und klug - erkennt als erste die Gefahr, die in den Machenschaften der Männer aus der Zukunft steckt.

Die Geschichte findet am Ende eine interessante Lösung, auch wenn längst nicht alle Fragen beantwortet werden. Aber das lässt noch viel Raum für Spekulationen. Auch die Spannungskurve ist gelungen: Die Rätsel bauen sich langsam auf und führen sie zu einem angemessenen Höhepunkt, der die meisten Ebenen miteinander verknüpft, wenn wie gesagt nicht alle.

Die Zeichnungen unterstützen den Text, ebenso wie die Farben. Sie treffen das Zeitkolorit und das Thema, sind klar und Detailreich, so dass keine Wünsche offen bleiben, wenn man auch zwischen den Zeilen lesen will.

Das macht „Archangel“ zu einem angenehmen Lese-Vergnügen für alle Fans von SF-Thrillern, die mit der Möglichkeit paralleler Welten und Entwicklungen spielen, die durch Zeitreisen ausgelöst werden könnten, ohne dabei gesellschaftskritische Aspekte neben all der Action außer Acht zu lassen.