Ray Bradbury: S is for Space (Buch)

Ray Bradbury
S is for Space
(S is for Space, 1966)
Übersetzung: Oliver Plaschka
Knaur, 2017, Taschenbuch, 284 Seiten, 10,99 EUR, ISBN 978-3-426-52073-4 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Die Erstausgabe dieser Sammlung von Geschichten Bradburys erschien 1966, ist somit mehr als 50 Jahre alt und gilt als großer Klassiker, da der Verlag Bantam Books in den USA es als Taschenbuch in hoher Auflage herausbrachte. Für den deutschen Leser ist es trotz vieler anderer Veröffentlichungen von Bradburys Storys hierzulande sehr interessant, enthält es doch die eine oder andere bisher in Deutschland unveröffentlichte oder nur in kleiner Auflage veröffentlichte Geschichte.

Insgesamt findet der Leser hier eine Novelle und 15 Kurzgeschichten von guter bis überragender Qualität vor, getragen von Bradburys poetischem und doch sehr einfachem Stil und seiner grandiosen Fähigkeit, Gefühle beim Leser zu wecken und intensive Atmosphären zu kreieren.


Doch nun der Reihe nach:

1) Die Storysammlung startet mit einem von Bradburys Klassikern. In „Stunde Null” (Zero Hour”) verhalten sich Kinder unter 10 Jahren sehr merkwürdig, was leider von den Eltern nicht recht beachtet wird, bis es zu spät ist...
Diese Kurzgeschichte von 1947 erschien in Deutschland bereits unter anderem in den Ausgaben von „Der illustrierte Mann“ bei Heyne und bei Diogenes (beide gleicher Titel).

2) „Der Mann” („The Man”) spielt auf einem fernen Planeten, wo die landende Crew von Erdenmenschen keine Beachtung findet, da die dortigen Bewohner gerade jemand viel wichtigeren empfangen. Der erst wütende Kommandant verfällt bald der Verzweiflung, da er zu spät erkennt, um welchen legendären „Anderen” es sich handelt...
Diese 1949 erstmals erschienene Story hat für Bradbury zwei völlig ungewöhnliche Bezüge: denn einerseits wirkt sie extrem religiös, was für den US-amerikanischen Autor absolut untypisch ist; zudem spielt sie außerhalb des Sonnensystems, was bei Bradbury so gut wie nie vorkommt [dem Rezensenten fällt hierzu lediglich die grandiose Kurzgeschichte „Die Achttagemenschen” („Frost and Fire”) ein, die ebenfalls in Deutschland nur sehr sporadisch mal veröffentlicht wurde; einmal in der Reihe der Heyne-Anthologien, andererseits bei Reclam als SF-Storyband]. In Deutschland erschien „Der Mann“ unter anderem in den gleichen Storybänden wie die erste Geschichte in diesem Band (siehe oben).

3) „Auf den Schwingen der Zeit” („Time in thy Flight”) erzählt von Zeitreisenden aus der Zukunft, die unsere primitiven Bräuche bewundern, da die stählerne Zeit, aus der die Reisenden kommen, jedweden Zaubers entbehrt...
Diese Kurzgeschichte von 1953 ist meines Wissens nach bisher noch nie auf Deutsch erschienen, ist jedoch auch leider nicht weiter bemerkenswert.

4) „Der Spaziergänger” („The Pedestrian”) ist wieder einer von Bradburys großen Klassikern: Kurz, prägnant und einfach wundervoll schildert er eine Realität, in der unschuldige Spaziergänge bereits zur Verhaftung und Abholung führen...
Diese Story von 1951 erschien in Deutschland unter anderem bei Heyne als Titelgeschichte von „Geh´ nicht zu Fuß durch stille Straßen“ und bei Diogenes und Volk & Welt in „Die goldenen Äpfel der Sonne“ (beide gleicher Titel).

5) „Hallo und Lebewohl” („Hail and Farewell”) berichtet von einem Menschen, der in seiner körperlichen Entwicklung schon länger stehen geblieben zu sein scheint, nämlich seitdem er zwölf Jahre alt ist. Deshalb reist er durch das Land, bleibt immer nur für einige Jahre bei kinderlosen Familien, bis seine Besonderheit auffällt, und reist dann, sehr zum Gram seiner Adoptiveltern, wieder weiter...
Eine sehr melancholische Geschichte von 1953, bei uns schon unter anderem unter den Titeln „Der Junge” beziehungsweise „Willkommen und Lebewohl” bei Heyne („Geh´ nicht zu Fuß durch stille Straßen“) bzw. bei Diogenes („Die goldenen Äpfel der Sonne“) erschienen.

6) „Feuersäule” („Pillar of Fire”) ist eine für Bradbury ungewöhnlich grimmige und gewalttätige Novelle von fast 60 Seiten und erzählt von dem letzten begrabenen Menschen auf der Erde. In der Zukunft werden die Toten alle verbrannt, alte Friedhöfe aufgelöst und alle Leichenteile eingeäschert. Als Letztes will man den lange toten William Lantry, der auf dem letzten „Museumsfriedhof” schon seit 1933 in seinem Grab liegt, ebenfalls verbrennen. Doch Lantry erwacht zu neuem Leben, hat einen intakten Körper und stiehlt sich davon, um an der kalten Nachwelt und ihren Bewohnern grausame Rache zu nehmen. Bald explodieren die Krematorien und Lantry schreckt auch vor Mord nicht zurück, zumal die friedliche Zukunftswelt ihm nichts entgegen zu setzen hat, da die Menschen jede Aggression abgelegt haben, es keine Verbrechen mehr gibt...
Diese fulminante Novelle von 1948 ist ebenfalls eine Rarität in Deutschland, erschien sie meines Erachtens bisher nur zweimal, einmal in einer von Peter Haining 1974 herausgegebenen Anthologie mit dem Titel „Die Stunde der Vampire“ (Fischer TB 1527) und im gleichnamigen (teuren) Erzählungsband der Edition Phantasia von 2003 („Die Feuersäule“). Wer diese Novelle nicht kennt, darf sich hier wieder einmal von der erzählerischen Wucht des Autors überraschen lassen. Herausragend!

7) „Der unsichtbare Junge” („Invisible Boy”) erzählt von einer alten Frau, die in der Wildnis lebt und unter ihrer Einsamkeit leidet. Als ein Junge vorbeikommt, überzeugt sie ihn deshalb, sie habe ihn verhext und damit unsichtbar gemacht, damit er nicht gleich wieder nach Hause zurückkehrt. Doch das Spiel geht nicht ewig gut...
Die Geschichte von 1945 erschien unter anderem bereits bei Diogenes im Erzählungsband „Die goldenen Äpfel der Sonne“ und bei Heyne ab der 3. erweiterten Auflage von „Geh´ nicht zu Fuß durch stille Straßen“.

8) „Komm in meinen Keller” („Come Into My Cellar”, später auch „Boys! Raise Giant Mushrooms in Your Cellar”) erzählt ebenfalls von Kindern, die sich merkwürdig verhalten und damit unsere Welt gefährden...
Diese Geschichte von 1962 ist ein weiterer großer Klassiker von Bradbury, variiert das gleiche Thema wie die erste Story in diesem Band und ist bereits (unter anderem) in „Mechanismen der Freude“ bei Diogenes und „Die goldenen Äpfel der Sonne“ im Verlag Volk & Welt erschienen; in Deutschland zum Beispiel unter anderem unter den Titeln „Alle Jungs züchten Riesenpilze” beziehungsweise „Jungens! Züchtet Riesenpilze in eurem Keller”.

9) „Der Kokon” („Chrysalis”) erzählt von einem Doktor, der einen merkwürdigen Patienten behandelt, der sich grün verfärbt und eine harte Schale um sich gebildet hat. Der Arzt vermutet eine Verpuppung zu einem Supermenschen, weshalb ein Bekannter des Arztes den Verpuppten töten will. Der Doktor hält den Mann jedoch zurück und nach der Umwandlung scheint der neue Supermensch ganz normal und gewöhnlich zu sein. Aber dann...
Eine wunderbare Plotgeschichte, mit über 30 Seiten auch etwas länger und meines Erachtens noch nie auf Deutsch erschienen. Es gibt auch eine, bisher nicht übersetzte und wohl sehr schlechte, Verfilmung des Stoffs.
Zudem hat Bradbury 1946 den Titel „Chrysalis” für gleich zwei Geschichten verwendet. Die andere handelt von einem dunkelhäutigen Jungen, der sich aufgrund seiner Hautfarbe ausgestoßen sieht und hat kein phantastisches Sujet. Diese Geschichte, in der es um Rassismus und Diskriminierung geht, findet sich in Deutschland in der Bradbury-Storysammlung „Der Katzenpyjama“ der Edition Phantasia von 2004.

10) In „Das Millionen-Jahr-Picknick“ („The Million-Year Picnic”) zeigt ein Vater seiner Familie die Marsianer, welche sich als sie selbst entpuppen...
Diese Story von 1946 ist Bestandteil von Bradburys Meisterwerk „Die Mars-Chroniken“ („The Martian Chronicles“).

11) „Die schreiende Frau” („The Screaming Woman”) berichtet von einem Kind, welches eine lebendig in der Erde begrabene Frau schreien hört. Leider hört niemand dem Kind zu oder kümmert sich um seine „Phantasien”...
Diese sehr eindrückliche und erschreckende Kurzgeschichte von 1951 ist bisher in Deutschland wohl nur bei der Edition Phantasia in einem Geschichtenband von Ray Bradbury mit dem Titel „Die Feuersäule“ (siehe oben) erschienen.

12) „Das Lächeln” („The Smile”) zeigt eine Zukunft nach der großen Katastrophe. Die desillusionierten Menschen zerstören aus Frustration alle Dinge aus den alten Zeiten. So auch ein berühmtes Gemälde. Einem Jungen gelingt es jedoch, sich den kostbarsten Teil des Bildes zu sichern...
Die Kurzgeschichte von 1952 erschien in Deutschland unter anderem schon bei Diogenes im Band „Medizin für Melancholie“ (ebenfalls bei Heyne ab der 4. ungekürzten Auflage) und in „Die goldenen Äpfel des Sonne“ bei Volk & Welt.

13) „Dunkel waren sie und goldäugig” („Dark They Were, And Golden Eyed”) ist ein weiterer großer Klassiker Bradburys. Hier werden irdische Siedler durch die einheimische Nahrung auf dem Mars nach und nach umgewandelt in Ureinwohner. Ein Mann wehrt sich und versucht ein Raumschiff zu bauen, bevor die Umwandlung vollendet ist...
Diese Geschichte von 1949 findet sich nicht in „Die Mars-Chroniken“, da sie ein unpassendes Sujet (Umwandlung durch einheimische Nahrung) aufweist, ist jedoch eine von Bradburys herausragenden Storys. Sie findet sich in Deutschland unter anderem in den gleichen Bänden wie die vorherige Story in diesem Buch (Nr.12).

14) „Die Straßenbahn” („The Trolley”) erzählt von der letzten Fahrt einer alten Straßenbahn, bevor die Strecke stillgelegt wird.
Diese Geschichte von 1955 arbeitete der Autor als Kapitel 20 in seinen Episodenroman „Löwenzahnwein“ („Dandelion Wine“) ein. Sie ist eines seiner typischen melancholischen Kabinettstückchen, eine bitter-süße Story mit wenig Handlung aber überzeugender Atmosphäre.

15) „Die Flugmaschine” („The Flying Machine”) erzählt von einem chinesischen Kaiser der Antike, der sich zu radikalen Maßnahmen genötigt sieht, als er des ersten chinesischen Flugpioniers ansichtig wird...
1953 erstmals veröffentlicht zeigt diese Story, mit welcher Vehemenz und Schnelligkeit Bradburys Idyllen in Schreckensszenarien umschlagen können. In Deutschland ist sie unter anderem bei Diogenes und bei Volk & Welt in den Bänden „Die goldenen Äpfel der Sonne“ (beide gleicher Titel) zu finden.

16) „Ikarus Montgolfier Wright” („Icarus Montgolfier Wright”) berichtet von einem Raumfahrer, der im Halbschlaf von vergangenen Flugpionieren halluziniert...
Eine eher unbedeutende Geschichte mit sentimentaler Atmosphäre und kaum Handlung, welche der früheren Pioniere und ihrer Leistungen gedenkt und sie mit modernen Heldentaten verknüpft. In Deutschland bereits unter anderem bei Diogenes und Heyne (hier ab der 4. ungekürzten Auflage) in „Medizin für Melancholie“ (beide gleicher Titel) erschienen und in „Die goldenen Äpfel der Sonne“ bei Volk & Welt.


Insgesamt eine wunderbare Kollektion von Geschichten, von denen die eine oder andere auch den Fans des Autors noch unbekannt sein dürfte und die Bradburys große Stärken noch einmal eindrücklich zeigen: Brillanter und doch recht einfacher und poetischer Stil, tolle Ideen und überragend erschaffene Atmosphären, die den Leser mitnehmen in seltsame und oft melancholische Welten, wo der Schock neben der Schönheit lauert und das Grauen sich gerade dann anschleicht, wenn man sich unbesorgt glaubt fallen lassen zu können.

Ein Dank an den Autor, dass er diese erhabenen Schönheiten erschuf (und an Knaur sie endlich erstmals in Deutschland in dieser Zusammenstellung zu veröffentlichen und an den guten Übersetzer für seine unauffällige Arbeit)!

Denn B ist für Bradbury and R is for Ray (no longer for Rocket)!