Ann A. McDonald: Die Schule der Nacht (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 17. Juli 2017 19:44

Ann A. McDonald
Die Schule der Nacht
(The Oxford Inheritance, 2016)
Übersetzung: Christoph Göhler
Penhaligon, 2017, Hardcover, 446 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-7645-3177-5 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Irene Salzmann
Seit dem Tod ihrer Mutter Joanna und ihres Stiefvaters sowie einigen Jahren in Kinderheimen schlägt sich Cassandra Blackwell allein und mit falschen Dokumenten durch. Entsprechend groß ist ihr Schock, als sie ein Päckchen erhält, das an ihre Mutter adressiert ist. Es enthält ein Foto und die Aufforderung, etwas zu Ende zu bringen, das sich offenbar am College in Oxford abgespielt hat oder dort gar noch am Laufen ist.
Am liebsten hätte Cassie die Sendung ignoriert und wäre erneut irgendwo untergetaucht, doch ihre Neugier ist geweckt. Sie möchte wissen, was für ein Mensch ihre Mutter einst war, bevor sie krank wurde, bevor etwas sie zerstörte, das sich auch in Cassie befindet. Die Hoffnung, den Vater und vielleicht auch eine Familie zu finden, ist eher gering, denn wenn es jemanden gegeben hätte, der sich um Mutter und Tochter gesorgt hätte - warum hätte Joanna dann überstürzt Großbritannien verlassen und ein unstetes Leben führen müssen?
Cassie bekommt eines der begehrten Stipendien für Oxford und teilt sich dort eine kleine Mansardenwohnung mit der quirligen Evie. Durch sie lernt sie nach und nach einige Studenten kennen, die aus reichen, einflussreichen Familien stammen und nahezu Narrenfreiheit am College genießen. Eigentlich ist das ganz und gar nicht Cassies Welt, aber sie kann sich nicht der Faszination entziehen, die der attraktive Hugo auf sie ausübt. Allerdings hält sie ihn auf Abstand, da er Evies große Liebe ist.
Außerdem ist Cassie nicht zum Flirten nach Oxford gereist, sondern um die Rätsel zu lösen, die Joanna und sie selbst umgeben. Bei der Recherche wird sie von Elliot, einem Bibliothekar, unterstützt. Dank seiner findet sie heraus, dass ihre Mutter den Namen geändert hat, ihre beste Freundin Rose hieß - Cassies zweiter Name -, und die jungen Frauen offenbar mit der Elterngeneration von Hugo und seinen Freunden ihre Zeit verbrachten.
Das Ganze wird noch mysteriöser, als sich die Gerüchte verdichten, dass es in Oxford eine Geheimgesellschaft, „Die Schule der Nacht“, gibt, die gewissermaßen die Kaderschmiede für die Nachfolger der gegenwärtig erfolgreichen Politiker und Unternehmer ist. Sie soll sogar auf Sir Walter Raleigh (1552 oder 1554 bis 1618) zurückgehen, der auch als Stifter des Colleges gilt.
Zufällig macht Cassie eine Beobachtung, die nicht für ihre Augen gedacht war, wodurch sie das Puzzle fast vervollständigen kann. Sie weiß, dass sie sich in großer Gefahr befindet, aber ihr ist auch klar, dass sie das zu Ende bringen muss, vor dem ihre Mutter geflohen war - wie der Absender des Päckchens gebeten hat. Aber kann sie Hugo vertrauen, der behauptet, auf ihrer Seite zu sein?
„Die Schule der Nacht“ klingt schon des Titels wegen (anders als der Originaltitel „The Oxford Inheritance“) nach einem Jugendbuch, soll in Deutschland vermutlich auch als ein solches verkauft werden, denn „Harry Potter“, „Twilight“, „Vampire Diaries“, „Buffy“ & Co. haben dafür gesorgt, dass sehr viel phantastischer Stoff ins Schüler-Milieu verlagert wurde.
Der vorliegende Band möchte jedoch All Age sein und präsentiert im College-Milieu einige Twens, die auf ihre Abschlüsse hin arbeiten oder aufgrund anderer Umstände nicht mehr im freshmen-Alter sind. Das ist eine nette Abwechslung, als Protagonisten mal junge Erwachsene in den Zwanzigern vorgesetzt zu bekommen statt Teenies. Insofern lassen sich auch Unabhängigkeit, ein gewisser Erfahrungsschatz und spezielle Kenntnisse leichter erklären.
Cassie, aus deren Perspektive die Handlung (in der dritten Person) geschildert wird, hat früh lernen müssen, auf sich selbst aufzupassen und vom Radar der Behörden zu verschwinden. Sie hat keine großen Bedürfnisse und möchte einfach nur unbehelligt irgendwie überleben. Bis sie herausfinden will, wer ihre Mutter wirklich war - schon wegen ihrer eigenen Sicherheit, die bedroht ist, da jemand Cassies Spur gefunden hat.
Natürlich kann die Protagonistin nicht von heute auf morgen in Oxford ein Studium aufnehmen. Mit viel Geduld stellt sie die Weichen, was die Autorin dem Leser jedoch erspart und lediglich in wenigen Sätzen zusammenfasst. Dennoch vergehen eingangs etliche Seiten, in denen die traditionellen Rituale beschrieben werden, denen sich die neuen Studenten zu unterwerfen haben, wie Cassie erste Kontakte knüpft, die sie lieber auf Distanz hält, wie sie nicht immer legale Nachforschungen anstellt und ihre Eindrücke von Oxford reflektiert.
Dieser Part liest sich eigentlich zäh, denn Spannungsmomente wie die Jagd durch den ihr verbotenen Bereich der Bibliothek sind selten oder konstruiert wie das Gefühl der gleichzeitigen Anziehung und Bedrohung durch Hugo schon bei ihrer ersten Begegnung. Auch Evie und ihre reichen Schnösel-Freunde, die dann doch besser sind, als Cassie dachte (…), wirken oberflächlich und nervig, obwohl sie den Neuling immer wieder einladen und an ihren Partys teilhaben lassen.
Was den Leser bei der Stange hält, sind die gelegentlichen Hinweise auf Joanna, Rose und „Die Schule der Nacht“, auf welche Cassie stößt. Doch sobald es interessant wird, kommt es zu einer Unterbrechung, sodass es bei der Andeutung und vielleicht der einen oder anderen Spekulation bleibt. Dementsprechend langsam baut sich der Spannungsbogen auf, bis aus dem Roman, den man mit einiger Mühe noch am Ehesten im Krimi-Bereich hat ansiedeln wollen, die Biege zur Mystery und Urban Fantasy macht.
Im letzten Viertel des Buchs beginnt Cassie zu ahnen, womit sie es zu tun hat, und ab da zieht das Tempo an. Sie trifft ihre Entscheidung, alles kommt Schlag auf Schlag, teils erwartungsgemäß, teils auch mit kleinen Überraschungen garniert.
„Die Schule der Nacht“ mag nicht ‚der große Wurf‘ sein, weiß aber zu unterhalten, unter anderem auch wegen einer etwas älteren, kantigeren Hauptfigur, die weniger glatt und klischeehaft gestrickt ist als manch andere Fantasy-Heldin, obschon sie ihrem Bedürfnis der Pflichterfüllung nachkommt. Das jüngere Publikum dürfte vor allem an den möglichen Romanzen und dem Blick in die Welt der High Society ihren Spaß haben, während die reiferen Leser eher von den (teils fiktiven) Beschreibungen der ‚Oxford-World‘ fasziniert sind und die Parallelen zu Burschenschaften, Rosenkreuzern, Freimaurern und anderen Vereinigungen erkennen.
Die Handlung hätte durchaus auch ohne Mystery-Elemente funktioniert, wäre dann aber wohl der Realität, die durchaus hätte Pate stehen können, zu nahe gekommen (siehe beispielsweise Dominique Manottis „Madoffs Traum“, quasi ein Synonym für all die millionenschweren Spekulanten, welche Politik und Wirtschaft manipulieren).
Das Buch will in erster Linie unterhalten. Allerdings hat die Autorin Philosophie, Politik und Wirtschaft studiert, sodass sie unterschwellige System-Kritik für jene ersichtlich werden lässt, die bei ihren Lektüren tiefer schürfen. Also, doch mehr ein Buch für Erwachsene, die zwischen den Zeilen lesen können, wenn gewünscht…