Bartholomäus Figatowski: Wo nie ein Kind zuvor gewesen ist… - Kindheits- und Jugendbilder in der Science Fiction für junge Leser (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 30. November 2016 16:01

Bartholomäus Figatowski
Wo nie ein Kind zuvor gewesen ist…
Kindheits- und Jugendbilder in der Science Fiction für junge Leser
Kid, 2012, Paperback, 442 Seiten, 20,80 EUR, ISBN 978-3-929386-35-6
Rezension von Karl E. Aulbach
„Wo nie ein Kind zuvor gewesen ist… - Kindheits- und Jugendbilder in der Science Fiction für junge Leser“: Unter diesem etwas sperrigen Titel hat Bartholomäus Figatowski seine Promotionsarbeit für die Universität Köln beim Kid Verlag veröffentlicht.
„Kindheits- und Jugendbilder“ - was soll man sich darunter vorstellen? Gerade im Bereich der Science-Fiction-Literatur lässt sich je nach Auswahl der Primärliteratur für eine Studie so ziemlich alles begründen. Da gibt es das große Mittelfeld der mehr oder weniger gut erzählten Geschichten mit nicht viel mehr als Unterhaltungswert.
Dann gibt es den ‚Bodensatz‘ der Schundliteratur, der dem Pädagogen - um einen solchen handelt es sich beim Verfasser - mehr als genug Stoff zum ‚draufhauen‘ liefert. Und schließlich gibt es noch die ‚Schätze‘, Spitzentitel des Genres, die innovativ, vielschichtig lesbar sind oder andere Merkmale aufweisen, die sie zu ‚Leuchttürmen‘ des Genres machen.
Während ganze Generationen von Pädagogen sich aus dem ‚Bodensatz‘ bedienten, um das Genre als ‚Schmutz- und Schundliteratur‘ zu diffamieren - in Figatowskis Buch finden sich hierzu viele Zitate -, setzten Genre-Liebhaber ebenso einseitig dagegen, indem sie die ‚Schätze‘ hervorhoben und versuchten, damit das ganze Genre schönzureden. Der Autor ist sich dieses Spannungsfeldes durchaus bewusst und stellt diese Positionen sehr sensibel dar. Er schafft das dadurch, dass er die jeweiligen Verfechter selbst sprechen lässt, also, viele Zitate präsentiert und dabei eine mehr neutrale Beobachterposition einnimmt.
Dass Figatowski ein Fachmann auf dem Gebiet der Science Fiction ist, beweisen seine sehr kompetenten Anmerkungen, die er oft auf unauffällige und sehr freundliche Weise einstreut, um falsche (Teil-) Auffassungen, auch von Literaturpäpsten wie beispielsweise Darko Suvin („Poetik der Science Fiction“), zurechtzurücken.
Besonders der erste Teil der Arbeit, in dem Figatowski mit einer „Theorie und Methodik der Science Fiction“ quasi die Basis für seine Studie entwickelt, ist auch jenseits des ‚Jugendbezugs‘ hochinteressant und kann in dieser Form auch für andere wissenschaftliche Werke als Grundlage dienen. Dieser Teil, der unter anderem auch die Motive und Traditionslinien der Science Fiction beschreibt, ist wirklich jedem, der sich ernsthaft für das Genre interessiert, in höchstem Maße zu empfehlen und wäre ein Kurd Lasswitz Preis für den Autor wert.
Der zweite Teil bringt dann Analysen von SF für junge Leser seit den 80er Jahren. Hier stoßen wir dann wieder auf das eingangs beschriebene Auswahl-Dilemma. Während das ‚Mittelfeld‘ meistens für eine wissenschaftliche Arbeit eher unergiebig ist bleibt eigentlich nur die Wahl, ob man sich für ‚Daumen rauf oder runter‘ entscheidet. Diese durchaus verständliche Missachtung des Mittelfelds hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass die jeweilig ‚extremen‘ Positionen mitunter sehr hart aufeinandergetroffen sind.
Die jahrzehntelange Abqualifizierung der SF vor allem auch durch Pädagogen erklärt sich möglicherweise daraus, dass dieser Berufszweig Schwierigkeiten damit hat, Literatur, die nicht auch noch einen zusätzlichen, wie auch immer gearteten pädagogischen Aspekt aufweist, anzuerkennen. Literatur wurde unter diesem Aspekt in ihre Bestandteile zerlegt und so zerrupft, dass die Schönheit dieser Texte durch überzogene Interpretationen häufig auf der Strecke blieb. So wurden Generationen von Jugendlichen mit einer entsprechenden Literatur-Auswahl für den Unterricht Lesefrust statt Leselust eingeimpft.
Dieser pädagogische Ansatz ist nach wie vor vorhanden und kommt auch bei der Literaturauswahl für die Analyse durch den Autor zum Tragen. Figatowski hat hier eine Lanze für die Science Fiction gebrochen und durchweg positive Beispiele guter Jugend-SF, die aber auch den oben geschilderten weitergehenden Anforderungen für den Unterricht Rechnung trägt, aufgeführt. Wir finden als Beispiele Gudrun Pausewangs „Wolke“ ebenso wie Haddix’ „Schattenkinder“ oder Eschbachs „Perfect Copy“ und viele andere mehr. Figatowski nimmt in seiner Analyse diese Romane ‚auseinander‘ und zeigt die verschiedenen Ebenen und Aspekte auf. Empfehlenswert für Deutschlehrer, die mit dieser ‚Handreichung‘ sehr leicht anspruchsvolle Unterrichtsstunden füllen könnten, ohne auf ihren pädagogischen Ansatz verzichten zu müssen.
Ein reichhaltiges Literatur-Verzeichnis gehört bei einem solchen Werk natürlich dazu.
Bartholomäus Figatowski präsentiert sich mit diesem Werk nicht nur als exzellenter Fachmann in Sachen (SF-) Literatur-Theorie, sondern auch als außergewöhnlich guter Kenner des Genres. Nach mehr als vierzig Jahren als SF-Leser macht es Spaß, die unheimlich vielen zitierten Titel - weit mehr als die Auswahl im zweiten Teil - noch einmal am inneren Auge vorbeiziehen zu lassen.
Die mehr als 900 (!) Fußnoten sind keineswegs störend, sondern gerade für ‚erfahrene Altleser‘ oft eine Quelle des Entzückens. Als solcher kann man die objektiven und feinsinnigen Kommentare und Analysen des Autors meist auch sehr gut nachvollziehen.
Am Schluss daher wirklich eine ausgesprochene Empfehlung für dieses lesenswerte Werk, das vor allem im ersten Teil als wissenschaftliches Basiswerk für weitere Arbeiten auf dem Gebiet der Science Fiction dienen kann.